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ARCHITEKTUR.
subjective Erfahrung an Stelle der sinnlichen Wahrnehmung grundsätzliches und unabweisliches
Bedürfnis war. Die griechischen Rhomäer hingegen vermögen sicli nicht zu entschließen, die
Verbindung der Einzelform mit der Grundebene als dem (idealen) Repräsentanten taktischer
Stofflichkeit und damit die Individualisierung mit den Mitteln sinnlicher Wahrnehmung in so
weitgehendem Maße preiszugeben.
Diese letztere Auffassung, die sich als unmittelbare Fortsetzung der vorconstantinischen
römischen Reichskunst darstellt, ist aber im griechischen Kirchenbau mindestens des vierten und
fünften Jahrhunderts durchaus noch nicht die vorherrschende gewesen; nur soviel wird man
sagen dürfen, dass sie niemals gänzlich erloschen war, denn wenn auch die Denkmäler des
Centralbaues aus jenen Jahrhunderten neben den basilikalen an Zahl weit zurückbleiben, so
fehlen sie doch nicht ganz. Ferner treten an den oströmischen Basiliken bestimmte Züge
entgegen, in denen sicli die centralisierende Grundabsicht unzweideutig verräth: zum Beispiel
die Weglassung des Querschiffes, das im Äußeren die Symmetrie der Seitenansicht vernichtet,
im Inneren die Unklarheit vermehrt, aber allerdings (was den Romanen willkommen gewesen zu
sein scheint) für den Beschauer vom Langhause aus, um den Altar eine geheimnisvolle Sphäre
webt; ferner die Anbringung der Emporen, wodurch die für ein antikes Empfinden so störende
Obermauer des Mittelschiffes wenigstens zum Theile entfernt wurde (vergl. namentlich die
Demetriuskirche in Thessalonich, wo sogar schon Stützenwechsel und Durchführung der Wand-
brechung bis unter die Decke, womit ein guter Theil der nordisch-romanischen Entwicklung
anticipiert erscheint).
Das Verhältnis zwischen rhomäischer und romanischer Architektur in spätrömischer Zeit
wird sich somit folgendermaßen ausdrücken lassen. Das gemeingebräuchliche christliche Gottes-
haus ist im ganzen Reiche zunächst die Basilika, wenngleich es eine zeitlang gedauert hat, bis
hierin ein allgemein gütiger Typus gefunden war. Die Rhomäer verfolgen daneben von
Anbeginn die Neigung, dem Gotteshause innen und außen den Eindruck der stofflichen, cubisch
abgemessenen Formeinheit nach Möglichkeit zu wahren, wieweit dies Raumbildung und
Massencomposition überhaupt noch gestatteten. 1 Die Romanen halten dagegen einseitig an
der Basilika fest. Daraus entwickelt sich im Laufe der Zeit eine schärfere Differenzierung; zur
Zeit Justinians dürfte dieselbe bereits greifbare Formen angenommen haben. Die Rolle, die dabei
den Romanen in der vorkarolingischen Zeit zufiel, war die passivere, obwohl das Zukunfts-
problem in ihren Händen lag; denn die Abkehr von den Reizmitteln der sinnlichen Wahrnehmung
bedingte eine Stagnation des Kunstschaffens, und eine neue Entwicklung konnte hier erst
einsetzen, als man der sinnlichen Wahrnehmung wieder Augenmerk und Gefallen zuzu-
wenden begann. Das entschiedenere Kunstwollen war darum zunächst zweifellos bei den
Griechen, weshalb sie auch auf viele Jahrhunderte hinaus den Primat behauptet haben.
Es erübrigt noch, den Charakter des griechischen christlichen Centralbaues in
der spätrömischen Periode zu skizzieren. Seine Anfänge liegen im Dunkeln; sobald wir aber klar
1 Dass die Neigung der Byzantiner zur Zeit Justinians auf Gleichmaß der Tiefe und Breite im Innern ihrer Kirchen (und somit in der
künstlerischen Composition überhaupt) gerichtet war, ergibt sich nicht bloß aus der stilkritischen Untersuchung der einschlägigen Denk-
mäler, sondern wird uns von byzantinischen Schriftstellern der justinianischen Zeit mit ausdrücklichen Worten gesagt: so von Prokopius
und Agathias (vergl. F. X. Kraus, Gesch. d. christl. Kunst, I., pag. 555). Der mit dem Massenbau nothwendig verbundene Hochdrang
(zum Beispiel in San Vitale in Ravenna) wurde schon in der Zeit Constantins beobachtet (vergl. J. Burckhardt, Leben Constantins,
pag. 264, über einige bezügliche Äußerungen des Eusebius). Man gewinnt hiedurch eine wichtige Parallele nicht bloß zur Stelzung der Rund-
bögen an den Emporenanlagen und dergleichen, sondern auch für gewisse typische Erscheinungen in der späteren ausgesprochen byzan-
tinischen Figurenkunst, wovon eines der frühesten Beispiele in den Mosaiken von San Vitale vorliegt.
ARCHITEKTUR.
subjective Erfahrung an Stelle der sinnlichen Wahrnehmung grundsätzliches und unabweisliches
Bedürfnis war. Die griechischen Rhomäer hingegen vermögen sicli nicht zu entschließen, die
Verbindung der Einzelform mit der Grundebene als dem (idealen) Repräsentanten taktischer
Stofflichkeit und damit die Individualisierung mit den Mitteln sinnlicher Wahrnehmung in so
weitgehendem Maße preiszugeben.
Diese letztere Auffassung, die sich als unmittelbare Fortsetzung der vorconstantinischen
römischen Reichskunst darstellt, ist aber im griechischen Kirchenbau mindestens des vierten und
fünften Jahrhunderts durchaus noch nicht die vorherrschende gewesen; nur soviel wird man
sagen dürfen, dass sie niemals gänzlich erloschen war, denn wenn auch die Denkmäler des
Centralbaues aus jenen Jahrhunderten neben den basilikalen an Zahl weit zurückbleiben, so
fehlen sie doch nicht ganz. Ferner treten an den oströmischen Basiliken bestimmte Züge
entgegen, in denen sicli die centralisierende Grundabsicht unzweideutig verräth: zum Beispiel
die Weglassung des Querschiffes, das im Äußeren die Symmetrie der Seitenansicht vernichtet,
im Inneren die Unklarheit vermehrt, aber allerdings (was den Romanen willkommen gewesen zu
sein scheint) für den Beschauer vom Langhause aus, um den Altar eine geheimnisvolle Sphäre
webt; ferner die Anbringung der Emporen, wodurch die für ein antikes Empfinden so störende
Obermauer des Mittelschiffes wenigstens zum Theile entfernt wurde (vergl. namentlich die
Demetriuskirche in Thessalonich, wo sogar schon Stützenwechsel und Durchführung der Wand-
brechung bis unter die Decke, womit ein guter Theil der nordisch-romanischen Entwicklung
anticipiert erscheint).
Das Verhältnis zwischen rhomäischer und romanischer Architektur in spätrömischer Zeit
wird sich somit folgendermaßen ausdrücken lassen. Das gemeingebräuchliche christliche Gottes-
haus ist im ganzen Reiche zunächst die Basilika, wenngleich es eine zeitlang gedauert hat, bis
hierin ein allgemein gütiger Typus gefunden war. Die Rhomäer verfolgen daneben von
Anbeginn die Neigung, dem Gotteshause innen und außen den Eindruck der stofflichen, cubisch
abgemessenen Formeinheit nach Möglichkeit zu wahren, wieweit dies Raumbildung und
Massencomposition überhaupt noch gestatteten. 1 Die Romanen halten dagegen einseitig an
der Basilika fest. Daraus entwickelt sich im Laufe der Zeit eine schärfere Differenzierung; zur
Zeit Justinians dürfte dieselbe bereits greifbare Formen angenommen haben. Die Rolle, die dabei
den Romanen in der vorkarolingischen Zeit zufiel, war die passivere, obwohl das Zukunfts-
problem in ihren Händen lag; denn die Abkehr von den Reizmitteln der sinnlichen Wahrnehmung
bedingte eine Stagnation des Kunstschaffens, und eine neue Entwicklung konnte hier erst
einsetzen, als man der sinnlichen Wahrnehmung wieder Augenmerk und Gefallen zuzu-
wenden begann. Das entschiedenere Kunstwollen war darum zunächst zweifellos bei den
Griechen, weshalb sie auch auf viele Jahrhunderte hinaus den Primat behauptet haben.
Es erübrigt noch, den Charakter des griechischen christlichen Centralbaues in
der spätrömischen Periode zu skizzieren. Seine Anfänge liegen im Dunkeln; sobald wir aber klar
1 Dass die Neigung der Byzantiner zur Zeit Justinians auf Gleichmaß der Tiefe und Breite im Innern ihrer Kirchen (und somit in der
künstlerischen Composition überhaupt) gerichtet war, ergibt sich nicht bloß aus der stilkritischen Untersuchung der einschlägigen Denk-
mäler, sondern wird uns von byzantinischen Schriftstellern der justinianischen Zeit mit ausdrücklichen Worten gesagt: so von Prokopius
und Agathias (vergl. F. X. Kraus, Gesch. d. christl. Kunst, I., pag. 555). Der mit dem Massenbau nothwendig verbundene Hochdrang
(zum Beispiel in San Vitale in Ravenna) wurde schon in der Zeit Constantins beobachtet (vergl. J. Burckhardt, Leben Constantins,
pag. 264, über einige bezügliche Äußerungen des Eusebius). Man gewinnt hiedurch eine wichtige Parallele nicht bloß zur Stelzung der Rund-
bögen an den Emporenanlagen und dergleichen, sondern auch für gewisse typische Erscheinungen in der späteren ausgesprochen byzan-
tinischen Figurenkunst, wovon eines der frühesten Beispiele in den Mosaiken von San Vitale vorliegt.