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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn (1): Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn — Wien: Österreich. Staatsdruckerei, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.75259#0103
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SCULPTUR.

der künstlerische Reiz freilich in ganz anderen Richtungen gesucht wurde, als diejenigen waren,
welche einst den Urhebern dieser Denkmäler vorgeschwebt hatten.
Die beiden anderen Sarkophage, welche einige Anhaltspunkte für eine Datierung darbieten,
sind sogenannte altchristliche, das heißt mit Reliefdarstellungen aus dem christlichen Vorstellungs-
kreise ausgestattet. Beide sind aus Marmor gearbeitet; der eine ist der Sarkophag des Junius
Bassus (f 359 n. Ch.) in den vatikanischen Grotten; den anderen, der gegenwärtig in der Capella
della Pieta zu St. Peter aufgestellt ist, hat man auf Grund einer am Äußeren der Fundstätte
angebracht gewesenen Inschrift auf Petronius Probus (Consul 371 n. Ch.) und dessen Gemahlin
Anicia Proba beziehen zu sollen geglaubt. Von besonderer, ja verhängnisvoller Bedeutung ist
der erstere Sarkophag geworden, der an der schmalen Leiste über dem Gebälke der vorderen
Langwand eine auf den Tod des darin Bestatteten bezügliche und durch Angabe der Consuln
des betreffenden Jahres eine genaue Datierung ermöglichende Inschrift trägt. Dass der Sarko-
phag unmittelbar zu dem Zwecke, den verstorbenen Junius Bassus aufzunehmen, oder doch
wenigstens kurz vorher gearbeitet worden sei, scheint bis jetzt niemand in Zweifel gezogen zu
haben. Man hat vielmehr diesen Sarkophag, der nach modernen Geschmacksbegriffen einer der
best gearbeiteten unter allen erhaltenen römisch-altchristlichen Sarkophagen ist, zum Ausgangs-
punkte der römischen Sarkophagsculptur gemacht und im allgemeinen (mit höchst vereinzelten
Ausnahmen) alle übrigen erhaltenen Denkmäler dieser Classe, weil sie nach modernen Begriffen
schlechter gearbeitet schienen, später, das heißt nach 359, entstanden sein lassen. So ist man
schließlich dazu gekommen, das Gros der römisch-altchristlichen Sarkophage in die zweite Hälfte
des vierten und in die erste Hälfte des fünften Jahrhunderts zu versetzen. Diese Meinung theilt
auch der Verfasser des Kataloges der für diese Frage ausschlaggebenden lateranischen
Sammlung altchristlicher Sculpturen, Professor Johannes Ficker, freilich nicht ohne die
Schwierigkeiten hervorzuheben, denen eine Classification der römisch-altchristlichen Sarkophage
dermalen noch begegnet. Unserem Dafürhalten nach wäre der wesentlichste Theil der
Schwierigkeiten beseitigt, wenn man die fatale Datierung der Entstehung des Junius Bassus-
Sarkophags im Jahre 359 n. Ch. fallen ließe, und sich auch in diesem Falle einen älteren
Sarkophag in Verwendung gezogen dächte, wofür schon die ungewöhnliche und auch ungeeignete
Stelle spricht, an welcher die Inschrift eingefügt wurde.
Wie man sich zum Ersätze dafür die Entwicklung der altchristlichen Sarkophagsculptur
im einzelnen vorzustellen hätte, kann im Rahmen dieses Werkes nicht des näheren auseinander-
gesetzt werden; ich muss mich daher auf folgende Andeutungen beschränken. Dass zu der
gleichen Zeit, als die Sarkophagsculptur bei den Heiden in größter Blüte stand (also zwischen
Marc Aurel und Constantin), auch die Christen davon Gebrauch gemacht haben, ist auf Grund
einzelner Denkmäler von offenbar vorconstantinischem Stilcharakter (namentlich des Sarkophags
von der Via Salaria im Lateran) schon seit Jahren allseits zugegeben. Damit ist der vielfach
begegnende Einwand, dass vor dem Mailänder Edict die äußerliche Möglichkeit für die Ent-
stehung einer christlichen Sarkophagsculptur gemangelt hätte, durch Thatsachen widerlegt.
Es ist auch nicht einzusehen, warum in der Zeit zwischen dem Regierungsantritte des Gallienus
und Diocletians letzten Regierungsjahren, in welcher das Verbot des christlichen Cultus so gut
wie ein lediglich formelles gewesen ist, in der Residenz des Kaisers sich stolze Basiliken erheben,
und selbst unter dem Hofgesinde Christen ungescheut ihrem Bekenntnisse leben durften, —
warum in solcher Zeit die Christen sich den so allgemein begehrten und geschätzten Luxus einer
 
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