Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Riegl, Alois
Das holländische Gruppenporträt (Band 1): Textband — Wien, 1931

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.8077#0025
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
geöffneten Sarge, ein zweiter, in halb kniender Stellung, reicht einen
anderen Knochen einem dritten, ein weiterer Knochen befindet sich
bereits in der Hand eines vierten. Die übrigen sind mehr oder minder
passive Teilnehmer der Szene. In der Fortsetzung desselben Diagonal-
streifens, rechts nach oben, sehen wir aber jenseits eines Gebüsches
abermals fünf Figuren, in denen wir, wie sich gleich zeigen wird, die
vorher genannten, durch dasKreuz ausgezeichneten Johanniter wieder
zu erkennen haben, auf einem ansteigenden Wege, der zur Pforte des
Klosters führt und auf dem ihnen eine Prozession singender Brüder
mit Kreuzen, Fahnen und Gesangbüchern in den Händen entgegen-
kommt.

Wir wollen das Resultat einer sofort zu führenden Untersuchung,
daß wir es hier mindestens zum Teil in der Tat mit Porträtkopten
zu tun haben, einstweilen als gesichert vorwegnehmen, da
allem anderen zu entscheiden gilt, ob und wieweit auf dieses Bild
die Bezeichnung als Gruppenporträt überhaupt angewendet werden
darf. Daß es kein reines Beispiel eines solchen ist, ergibt sich schon
aus seiner Vereinigung mit zwei gänzlich verschiedenen historischen
Szenen zu einem Bildganzen. Aber auch die Bedingung, daß es sich
um eine Korporation zur Durchführung temporärer, irdischer und
gemeinnütziger Zwecke handeln müsse, trifft hier nicht zu; denn
noch viel einseitiger als jene Spitalvorsteher von Brügge hatten diese
Johanniterbei ihrer Vereinigungbloß die Erlangung der ewigen Seligkeit
im Auge, die sie ja nur jeder für sich allein und nicht auch für ihre
übrigen Mitglieder erwerben konnten.DiesesGruppenbild hängt somit
nicht allein äußerlich, sondern auch in seiner innersten Auffassung
noch aufs engste mit dem religiösen Historienbild zusammen. JNur
sofern wir da eine Mehrzahl von Porträtköpfen in einer Gruppe bei-
einander vor uns haben, wird man das Bild immerhin als eine Vorstufe
des Gruppenporträts bezeichnen dürfen. Wir haben uns also jetzt
darüber Gewißheit zu verschaffen, ob Geertgen, der nach van Manders
Erzählung mit den Johannitern der Haarlemer Kommende m enger
Gemeinschaftlebte, hier in der Tatlebendigeindividuen konterfeit hat.

Schon die Vergleichung mit den Figuren der untersten Szene
ergibt für die Beantwortung dieser Frage bemerkenswerte Anhalts-
punkte. Die Köpfe der letzteren zeigen verhältnismäßig sehr reiche
Abwechslung in allen äußeren Merkmalen: in Haar- und Barttracht,
Wendungen und Bedeckungen und selbst in den Mienen. Hat man
sie durchgemustert, so hat man sich jeden Kopf gemerkt; denn jeder
bietet selbst schon auf den ersten oberflächlichen Blick seinen
Nachbarn gegenüber etwas absolut Charakteristisches. Läßt man un-
mittelbar darauf den Blick auf jene Zwölf fallen, so frappiert zunächst
ihre anscheinende Uniformität: die Gewandtracht bei allen absolut
oder doch annähernd gleich, die Köpfe bis auf einen bartlos, auch
in den Typen so verwandt, wie dies eben innerhalb eines bestimmten
 
Annotationen