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Volksstammes notwendige Regel ist, und selbst in den Wendungen
ohne Abwechslung. Und dennoch ist jeder dieser Köpfe in so indi-
vidueller Weise behandelt, daß er mit keinem der übrigen verwechselt
werden kann! Warum hätte sich der Meister gerade an diesen zwölf
Köpfen die Aufgabe der Differenzierung so sehr erschwert, wenn er
nicht eine zwingende Veranlassung dazu gehabt hätte? Und diese
kann doch keine andere gewesen sein als das Gebundensein an be-
stimmte lebende Individuen als Vorbilder.

Der Beweis dafür läßt sich aber noch weiter, bis zur Evidenz
erbringen. Es wurde schon gesagt, daß von den Zwölfen am Sarge
(Tafel 2 links) bloß fünf durch das Kreuz am Mantel und Uberhaupt
durch fast genau uniforme Tracht als Johanniter gekennzeichnet er-
scheinen; ob in den übrigen Sieben Laienbrüder zu erkennen seien,
mögen Lokalgeschichtskundige entscheiden, denen ich auch die Fest-
stellung näherer Daten Uber die dargestellte Begebenheit Uberlassen
muß. Die genannten Fünf kehren nun, wie ebenfalls schon erwähnt
wurde, etwas weiter rechts (Tafel 2 rechts) wieder, und zwar lassen sie
hier trotz der kleineren Dimensionen, in denen sie gemalt sind, genau
die gleichen Köpfe erkennen wie links vorher. Die beiden längeren
Knochen hat jetzt derjenige an sich genommen, der vorhin sprechend
dargestellt war; durch die Augensäcke und die lange Nase mit geradem
Rücken, ferner durch ein violettes Untergewand hat ihn der Meister
unverkennbar zu machen gewußt. Der kleinere, etwas gezackte
Knochen ruht noch immer in den Händen eines und desselben, den
namentlich sein spitz vorstoßendes Kinn und der stumpfe Winkel
zwischen Stirn und Nase verrät. Als Dritter folgt oben jener mit den
vorstehenden Backenknochen, der unten die längste der Reliquien
einem anderen darreicht; und auch diesen letzteren mit seiner
kleineren Statur, den breiten Wangen, der gebogenen Nase, den
vorgeschobenen Lippen und dem devoten Blick finden wir in der
oberen Gruppe ganz links wieder. Dem Fünften in der oberen Gruppe,
zwischen den beiden zuletzt Genannten kann somit unten kein
anderer entsprechen als derjenige, der sich Uber die Sargöffhung beugt
und den Kopf in völliger Verkürzung zeigt; es ist dies allerdings eine
ganz und gar unporträtmäßige Haltung, für deren Wahl sich aber
eine ungezwungene Erklärung darin zu bieten scheint, daß der obere
Kopf mit seinem schiefen und verwachsenen Mund und anderen
Disproportionen eine ganz ungewöhnliche Häßlichkeit verrät, die
selbst den in diesem Punkte sonst minder empfindlichen Nieder-
ländern — ob dem Maler oder den Bestellern, muß unentschieden
bleiben — eine wiederholte und gar in größere Nähe gerückte Wieder-
gabe unerträglich erscheinen lassen mochte.* Von den vier zuerst

* Leo Balet weist auf Seite seines Buches »Der Frühholländer Geertgen Tot sint
Jans, Haag igoq« daraufhin, daß die Häßlichkeit dieses Gesichtes die Folge einer Restau-
rierung ist, daß dieses daher zum Ermitteln einer Portratähnlichkeit nicht heranziehbar ist.

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