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Rooses, Max
Geschichte der Malerschule Antwerpens: von Q. Massijs bis zu den letzten Ausläufern der Schule P. P. Rubens — München, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.20661#0168
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VIII. Rubens’ Vorgänger.

Im Jahre r 616, als Lord Dudley Carleton Antwerpen befuchte, befchrieb
er deffen Zuftand in einem Briefe an feinen Freund mit folgenden Worten :
»Ich kann Euch den Zuftand diefer Stadt in ein paar Worte faffen, welche
buchftäblich wahr find: Eine grofse Stadt, eine grofse Verödung; denn in der
ganzen Zeit, die wir hier verbrachten, fallen wir niemals vierzig Menfchen zu-
gleich in einer Strafse, fah ich keine einzige Kutfche und keinen Reiter. Ob-
wohl zwei Werktage anwefend, fairen wir in den Buden und Straffen nicht um
einen Stüber kaufen oder verkaufen, und zwei Laftträger und ein Krämer
könnten fo viel auf ihrem Rücken tragen, als wir in den zwei Stockwerken
der Börfe fahen. Das Engelfch-Huis (das jetzige Militärfpital) ift voll Schul-
jungen der Jefuiten und das Oofterfch-Huis ift leer. An vielen Stellen wächft
das Gras in den Strafsen, während feltfam genug in folcher Verödung die
Häufer alle gut unterhalten werden. Der Zuftand diefer Stadt ift, was fehr
befremdet, feit dem Beginn des Waffenftillftandes noch fchlechter als früher,
und das ganze Land gleicht diefer Stadt: eine glänzende Armuth, fchön
aber elend.«*

Und merkwürdiger Weife fiel mit diefen Jahren des Rückgangs die
Periode der höchften Blütlie der Antwerpen’fchen Schule zufammen. So grau-
fam das Schickfal der Stadt fonft, fo herrlich war es in diefer Hinficht, und
während alle Leiden wie eine nichts verfchonende Sündfluth über diefelbe
hereinbrachen, fehen wir zahllofe Namen ruhmreicher Kiinftler in jener Zeit
auftauchen , deren dichte Schaar wir nicht überblicken können ohne davor zu
bangen, dafs in unferem engen Raume etwas von allen gefagt werden foll.
Sind es doch keine unbekannten oder künftlich zum Ruhm emporgefchraubten
Talente; fondern in der Tat tüchtige Meifter in ihrem Fach, durch die Jahr-
hunderte hindurch gefeiert und in ihren erhaltenen Werken noch bewundert.
Die grofse religiöfe und hiftorifche Malerei blüht mit van Veen, van Noort,
van Baien, Pepijn, Rubens, Jordaens, Rombouts, Zegers, de Crayer, Cornelis
de Vos, Schut, van Dijck, Cossiers, E. Quellin, van Tulden, van Diepenbeeck,
Wouters, Thijs, Boeyermans und fo vielen andern. Die Thier- und Blumen-
malerei hat fich eines Snijders, Fijt, van Utrecht, Seghers zu rühmen, die
Landfchaft eines Wildens, Siberechts, van Uden, van Avont, das Genre eines
Teniers, van Craesbeeck, Rijckaert, Coques, Hieronymus Janssens. Und wie
viele Fächer und Namen könnten wir noch aufzählen ohne die Lifte zu erfchöpfen.

Wie läfst fich nun diefe Erfcheinung erklären? Wir fehen in vielen
Landen, dafs die Blüthe von Kunft und Literatur mit dem von einem Staat
erreichten Höhenpunkt von Macht und Wohlfahrt zufammenfällt. Erlebte aber
auch Athen diefe Bltithezeit unter Perikies, Rom unter Auguftus, Frankreich
unter Ludwig XIV., Holland im 17. Jahrhundert, fo bemerken wir doch dabei
fofort, wie es vielmehr kurz nach als, gleichzeitig mit der höchften Kraft-
entwicklung gefchieht, dafs die friedlichen Lorbeeren üppig emporfchiefsen.
Griechenland und Rom hatten fich auf dem politifchen und militärifchen Gebiete
früher über ihre Nebenbuhler erhoben als ihre grofsen Kiinftler und Dichter
entftanden, Italien hatte politifch viel ruhmreichere Tage erlebt als in den
Zeiten Raphaels, Michel Angelo’s, Tizians und Taffo’s. Die Regierung
Richelieu’s in Frankreich war kräftiger als die Ludwig XIV., Spaniens grofse
Kunftära entfaltet fich unmittelbar nach dem Ende feiner Weltherrfchaft, und die
neue und glänzende franzöfifche Schule kömmt nach den Kriegen des Kaiferreichs.
In diefer Hinficht befteht alfo Zufammenhang zwifchen einer von der Gefchichte
bezeugten allgemeinen Erfcheinung und der Entwicklungsfolge, wonach die

* Noel Sainsbury, Original papers relating to Rubens. London 1859 p. II.
 
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