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Rooses, Max
Geschichte der Malerschule Antwerpens: von Q. Massijs bis zu den letzten Ausläufern der Schule P. P. Rubens — München, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.20661#0169
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Rückgang Antwerpens. Aufblühen feiner Kunft.

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grofse vlämifche Kunftepoche unmittelbar auf den Höhenpunkt materieller Wohl-
fahrt und auf die heftigften Kriegswirren folgt. Hier wie anderwärts fehlen
das Volk die Thätigkeit, die es früher in anderen Fächern an den Tag gelegt,
nun auf jene Schaffensgebiete zu concentriren, welchen fich nach den Kriegen
Herz und Gemiith hingebender öffnen, und die das einzige Feld find, das dem
menfchlichen Ehrgeiz übrig gelaffen worden.

Dazu kommen noch einige nicht zu iiberfehende Umftände. Die Regierung
des Erzherzogenpaares, fo’ fchwach und entnervend immer fie auf die Dauer
wirken mufste, war in ihrem Beginn eine Periode des Verfchnaubens und relativer
Wohlfahrt. Man konnte noch von den Schätzen zehren, die in früherer Zeit ge-
fammelt worden waren, und die Zukunft war noch nicht fo undurchdringbar
dunkel, dafs alle Hoffnung auf beffere Zeiten gänzlich verloren gewefen wäre.
Es war eine der düfteren Nacht vorausgehende Abendfrifche, welche auf eine
mitten in einem Sommertage entftandene Bö folgte. Die untergehende Sonne
lachte noch einmal, zwifchen den abziehenden Wetterwolken hindurch, und in
diefer farbigen Stunde der Ruhe nach erduldetem Leid gab man fich dem
wohlthätigen Gefühl von Sicherheit herzlich hin, und träumte in der Dämmerung
von einer befferen Zukunft.

Ueberdiefs mufsten die ruinofen Kirchen, die verbrannten, geraubten,
zerfchlagenen Gemälde und Sculpturen hergeftellt und die neuen Gotteshäufer
mit neuen Kunftwerken verfehen werden. War das Land arm, fo war doch
die Geiftlichkeit reich, und die Klofterorden und Bürgerinnungen wetteiferten
mit den Privaten in Freigebigkeit der Beftellungen bei den Künftlern. Die Lan-
desfürften, fonft fo kurzfichtig und lahm, hatten den Kunftfinn von ihren Vor-
fahren , den Herzogen von Burgund, den Gönnern der van Eyck geerbt.
Was die letztern für die Brügge’fche Schule, das thaten jene für die Ant-
werpen’fche. Philipp II. und feine Nachfolger waren warme Liebhaber der
fchönen Künfte, und die fpanifchen Gouverneure der Niederlande hielten, wie
wir bereits gefehen haben und noch weiterhin fehen werden, für Pflicht und
Bedürfnifs, reiche Kunftkabinete zufammenzubringen. Das königliche Mufeum
zu Madrid und das Belvedere zu Wien find die noch exiftirenden Beweife
diefes Kunftfinnes.

Und endlich war es auch, wie man fagen mufs, eine glückliche Fügung,
dafs in dem Jahrhundert des Unglücks Männer erftanden, die mehr noch als
den äufseren Umftänden dem eigenen Genius wie dem angebornen Kunftgeifte
ihres Volksftammes die Gaben zu danken hatten, welche die Antwerpen’fche
Schule in diefen Jahren fo hoch in der Achtung der Welt fteigen liefsen. Es ift
aber Zeit, nunmehr des Näheren zu betrachten, welche diefe Männer waren.

Derjenige, welcher auf Rubens’ Entwicklung den gröfsten Einflufs aus-
übte, war unwiderfprechlich Adam van Noort, fein erfter Lehrer. Er war der
Sohn des Lambert VAN Noort ,* deffen Name häufig aber irrthümlicher
Weife van Oort gefchrieben wird. Diefer hatte, durch die immer fteigende
Blüthe Antwerpen’s angezogen, Nord-Niederland verladen, um fich an den Ufern
der Schelde niederzulaffen. Im J. 1549 wurde er als Freimeifter bei St. Lucas,
und am 30. April des folgenden Jahres als Bürger von Antwerpen aufge-
nommen. Ueber feinen Lebenslauf ift uns wenig bekannt. Eine ziemlich grofse
Zahl feiner Malereien ift auf uns gekommen, und das Antwerpen’ fche Mufeum
allein befitzt deren fechzehn: heben davon Sibyllen in Einzelfiguren, die übrigen
Scenen aus dem Leben Chrifti darftellend und 1555—1565 gemalt. War der
Künftler fruchtbar genug, fo hielt doch fein Talent mit feiner Productivität bei

* Catalogue du Musee d’Anvers, ad nomen. — GenArd, Album der St. Lucasgilde p. 120.
 
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