I. DIELEHRE VON MENSCHLICHER PROPORTION
a. ENTWÜRFE UND AUSARBEITUNG
Nr. i
GÜLTIGKEIT DER (SECHS) BEWEGUNGSMUGLICHKEITEN
DER LINIE AUCH FÜR KORPERICHE GEBILDE.
VORENTWURF ZUR „SELTSAMEN RED".
Von Dürers Hand. London $231, fo!. 123" (IV $4 oder 74). Ein auf beiden Seiten beschriebenes halbes
Biatt, 19.2X20.3 cm. Wz: Dreizinkige Gabe! mit Kreis. FoL 123b trägt den Text Bd. II Kap. IIID 3,2.
Datierung: Mit Rücksicht auf den fo!. 123b erwähnten Kopf des Mannes aa bb 1313 oder bald danaA.
Eine der frühesten Formulierungen dieser Stelle des AsthetisAen Exkurses.
Druck: Z. 11 bis 22 bei Lange-Fuhse, S. 349.
[Fo!. 123"]
Item so ein ünj mag gepogen, krumt, gewent, ge-
wunden, gestregt, gekrübA vnd gesAoben werdn,
so mag man awA ein gehrt würfHeAten corpus
a!so tan. Dan ein jtüA corpus ist mit !inien vm
s zogen. Es mügen etliche ding awff ein ma!! mit ein
ander gepogen, krümt, gewent, gewunden, gesAo-
ben vnd gekrübA oder gestregt werden.
Item so dw dy pi!d pigen wi!t, tut noAt, das dw
zwisAen aüen zwerAIinien das bi!d jn würAteAt
10 virung legst, wy dan das hawbt ein geteüt ist.*
Sö!As enstett aüs aws dem, das man hnt.^
Et!ich dy haben preit sAu!tern, dy andern sAmaü.
Et!ich haben preit weibisA hüfA, dun weiAen, vnd
dy ander haben sy sAmaü vnd sind miten di&.
1-30. ILhVcr 5 E. Es 7/j werden e/M-
gcf&'gr. 61. gesAoben] ZcZ/c. 11. SöIAs Ent
Mf^träg/iA K&er i/er 12. Etlich dy] dy
<7er Zc/7e, man gcrrr/cT'eH. 13. vnd) Bgc^/MgEA ew-
gcfäg;.
4. tan/ 12. schmall/ 13. weichen/
Et!iA haben !ang !eib vnd kurtze pein vnd wider- t;
um. Et!iA haben krume, die andern sA!eAte pein.
Dorum gib jAs eim jtliAen zw treAn, ob er hübsA^
oder hessüA ding wo!! machen. Dan ein jtüAer
wer&man so! künen maAen ein adeüiA oder
pewrisA bi!d. Dan es ist ein grosse kunst, weiAer 20
jn groben pewrisAen dingen ein reAten gewa!t
vnd kunst kan an tzeigen jm geprawAA
Item dw magst dy zwerA ünj jm büd mer&en
durA daz a!fabett.
Es ist wo!! dinstüA, so dw ein büd pigen wi!t, das 2;
dw dan for zwisAen den zwerA ünien dy glidmos
jn würf!eAt hrung verfast noA gesAickÜkeit, wy
dan das hawbt ferfast ist, wy wo!! sy nit aüe reAt
würf!echt dürAen sein, aber noA dem !eib ge-
furmt. 30
15. lang] dy anderen kurtz gcrrr/'c^cH/ vnd]
Zc;7c, gcrtr/'cAem des gleichen lange oder. 13 h vnd
widerum] <7er Zc;7c. 16. Etlich] ^Off/grer? ^r etlicher.
24. daz] Ze/7e.
13. leib/ pein. 27. geschickiikeit. 28. ist/ 29.
sein/
ANMERKUNGEN
' Die Bewegungslehre behandelt Dürer bekanntlich im
4. Buch der Lehre von mensAlicher Proportion. Eine
Reihe von Entwürfen dazu, die sich mit den obigen
Ausführungen berühren, sind Kap. I C abgedruckt.
2 Vgl. dazu die Druckfassung (1328), fol. T2h
" hübsA adj. und hübsche stsvf. gebrauAt Dürer syn-
onym für schön bzw. Schönheit.
t Lange-Fuhse meinten, Dürer habe unter „bäurischem
Werk" ursprüngüA niAts anderes verstanden als die
Wiedergabe eines häßlichen Modells und interpretier-
ten die Stelle als wichtigen Beweis für Dürers „im
Grunde naturalistisAe Kunstauffassung". Vgl. K. Lange,
ZeitsAriA für bildende Kunst NF 9 (1898), S. 120 A.,
230, NF 10 (1899), S. 220A.; ferner: Panofsy, aaO,
S. 123A.; KauAmann, aaO, S. 99A.; H. Beenken,
Dürers Kunsturteil und die Struktur des Renaissance-
individualismus, FestsAriA H. WölAlin (MünAen
1924), S. 183 A.
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a. ENTWÜRFE UND AUSARBEITUNG
Nr. i
GÜLTIGKEIT DER (SECHS) BEWEGUNGSMUGLICHKEITEN
DER LINIE AUCH FÜR KORPERICHE GEBILDE.
VORENTWURF ZUR „SELTSAMEN RED".
Von Dürers Hand. London $231, fo!. 123" (IV $4 oder 74). Ein auf beiden Seiten beschriebenes halbes
Biatt, 19.2X20.3 cm. Wz: Dreizinkige Gabe! mit Kreis. FoL 123b trägt den Text Bd. II Kap. IIID 3,2.
Datierung: Mit Rücksicht auf den fo!. 123b erwähnten Kopf des Mannes aa bb 1313 oder bald danaA.
Eine der frühesten Formulierungen dieser Stelle des AsthetisAen Exkurses.
Druck: Z. 11 bis 22 bei Lange-Fuhse, S. 349.
[Fo!. 123"]
Item so ein ünj mag gepogen, krumt, gewent, ge-
wunden, gestregt, gekrübA vnd gesAoben werdn,
so mag man awA ein gehrt würfHeAten corpus
a!so tan. Dan ein jtüA corpus ist mit !inien vm
s zogen. Es mügen etliche ding awff ein ma!! mit ein
ander gepogen, krümt, gewent, gewunden, gesAo-
ben vnd gekrübA oder gestregt werden.
Item so dw dy pi!d pigen wi!t, tut noAt, das dw
zwisAen aüen zwerAIinien das bi!d jn würAteAt
10 virung legst, wy dan das hawbt ein geteüt ist.*
Sö!As enstett aüs aws dem, das man hnt.^
Et!ich dy haben preit sAu!tern, dy andern sAmaü.
Et!ich haben preit weibisA hüfA, dun weiAen, vnd
dy ander haben sy sAmaü vnd sind miten di&.
1-30. ILhVcr 5 E. Es 7/j werden e/M-
gcf&'gr. 61. gesAoben] ZcZ/c. 11. SöIAs Ent
Mf^träg/iA K&er i/er 12. Etlich dy] dy
<7er Zc/7e, man gcrrr/cT'eH. 13. vnd) Bgc^/MgEA ew-
gcfäg;.
4. tan/ 12. schmall/ 13. weichen/
Et!iA haben !ang !eib vnd kurtze pein vnd wider- t;
um. Et!iA haben krume, die andern sA!eAte pein.
Dorum gib jAs eim jtliAen zw treAn, ob er hübsA^
oder hessüA ding wo!! machen. Dan ein jtüAer
wer&man so! künen maAen ein adeüiA oder
pewrisA bi!d. Dan es ist ein grosse kunst, weiAer 20
jn groben pewrisAen dingen ein reAten gewa!t
vnd kunst kan an tzeigen jm geprawAA
Item dw magst dy zwerA ünj jm büd mer&en
durA daz a!fabett.
Es ist wo!! dinstüA, so dw ein büd pigen wi!t, das 2;
dw dan for zwisAen den zwerA ünien dy glidmos
jn würf!eAt hrung verfast noA gesAickÜkeit, wy
dan das hawbt ferfast ist, wy wo!! sy nit aüe reAt
würf!echt dürAen sein, aber noA dem !eib ge-
furmt. 30
15. lang] dy anderen kurtz gcrrr/'c^cH/ vnd]
Zc;7c, gcrtr/'cAem des gleichen lange oder. 13 h vnd
widerum] <7er Zc;7c. 16. Etlich] ^Off/grer? ^r etlicher.
24. daz] Ze/7e.
13. leib/ pein. 27. geschickiikeit. 28. ist/ 29.
sein/
ANMERKUNGEN
' Die Bewegungslehre behandelt Dürer bekanntlich im
4. Buch der Lehre von mensAlicher Proportion. Eine
Reihe von Entwürfen dazu, die sich mit den obigen
Ausführungen berühren, sind Kap. I C abgedruckt.
2 Vgl. dazu die Druckfassung (1328), fol. T2h
" hübsA adj. und hübsche stsvf. gebrauAt Dürer syn-
onym für schön bzw. Schönheit.
t Lange-Fuhse meinten, Dürer habe unter „bäurischem
Werk" ursprüngüA niAts anderes verstanden als die
Wiedergabe eines häßlichen Modells und interpretier-
ten die Stelle als wichtigen Beweis für Dürers „im
Grunde naturalistisAe Kunstauffassung". Vgl. K. Lange,
ZeitsAriA für bildende Kunst NF 9 (1898), S. 120 A.,
230, NF 10 (1899), S. 220A.; ferner: Panofsy, aaO,
S. 123A.; KauAmann, aaO, S. 99A.; H. Beenken,
Dürers Kunsturteil und die Struktur des Renaissance-
individualismus, FestsAriA H. WölAlin (MünAen
1924), S. 183 A.
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