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Dürer, Albrecht; Rupprich, Hans [Editor]
Schriftlicher Nachlaß (Band 3): Lehre von menschlicher Proportion: Entwürfe zur Vermessungsart der Exempada u. zur Bewegungslehre ; Reihschriftzyklen ; der Aesthetische Exkurs ; die Unterweisung der Messung ; Befestigungslehre ; Verschiedenes — Berlin, 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.29733#0302
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I. DIE LEHRE VON MENSCHLICHER PROPORTION

630 84 Dann die mens ARA gestalt kan nit mit riAt-
sAeyten oder zir&elen vmbzogen werden, aber
von puncten zu puncten werde die gezogen wie for
gemelt. Vnd ausserhalb reAter maß werde keiner
niAtz gutz machen.
633 8$ Nun mag siA begeben, so etliA dise for be-
schribne maß der bilder in ein groß werck werden
zihen, das in mißret durA jr vnsAicklikeyt, mir
dann die sAuld auff legen vnd sagen, in kleinen
dingen thut mein auifreyssen reAt, aber in gros-
640 senn werAen sey es verfurliA.
86 SolAs kan nit sein, dann eyntweders das klein
reAt vnd das groß gut, oder das klein boß vnd das

groß sol gar niAtz. Des halb lest siA die red in di-
sem nit teylen. Dann ein zir&elryß bleybt rund, er
sey kleyn oder groß, des gleyAen thut ein qua- 645
drat.
87 Darumb heit siA ein yedliAe proportz gleyA
zu jr selbs, sie sey groß oder klein, zu gleyAer
weyß wie siA im gsang ein octaff zu der andern
heit, eine hoA die ander nider, vnd ist doch ein 630
ton .63
88 Nun ist zu mercken, das ein forgemaAt bild
gar in vil weyß vnnd weg zu verstellen ist, das
mans nit mer kent. Vnd wurdet doA darmit der
maß weder geben noch genumen. 633

ANMERKUNGEN

* Uber den Begriff der „Ungestalt" bei Dürer vgl.
Bd. II Kap. II B 7, 2 A 2.
2 ist in der BesAreibung niAt zu irren.
3 taugliA.
* Die Gegensatzbegriffe Bd. II Kap. III A.
s ohne.
6 Vgl. Nr. 11 A 8.
* Solches hat keinen Zweck, da man es niAt merken,
d. h. die VersAiedenheit nicht erkennen kann. Vgl.
Lange-Fuhse, S. 218.
^ Uber den Begriff des „Mittels" vgl. Bd. II Kap. II B
7, 1 A 6.
2 soweit in die Extreme gegangen bin, d. h. mit der
Veränderung der Körperformen. Vgl. Lange-Fuhse,
S. 218.
Härte, Strenge; Gegensatz von Zartheit,
gemäßigter.
12 Einfälle.
12 sAickliA, angemessen.
'4 geartet; naA lat. naturatus. Das Wort ist sAon mhd.
bei Philosophen und Di Atem geläufig. Vgl. E&hart
(Ed. Pfeiffer $37, 2$ ff.): genatürte natür.
13 Tun.
13 Hier mit Akk. der SaAe, der man vorbeugend zu-
vorkommt; verhindern, verhüten.
12 Modulus; Form.
'6 Vgl. Nr. 11, 1 A 16.
43 Wenn einer siAer genug ist.
23 im Gegensatz, verkehrt.
21 einfaAe.
22 Entwurf zu dieser Stelle in Nr. n,i, Z. 147 ff.
23 Vorentwürfe zu dieser „seltsamen red" in Nr. 1 und
11. Zur Interpretation vgl. Panofsky, aaO, S. 160 ff.;
H. Beenken, FestsAriff HeinriA Wölfflin, S. 183 ff.;
Panofsky, JahrbuA für KunstwissensAaff 1926,
S. 169 f.

24 gewaltsam: validus, nervosus. So gedeutet Grimm
Wb IV, 1,3 (1911), Sp. 3200. NaA Beenken, aaO,
S. 183, ein Künstler, der Gewalt über gewisse teAnisAe
und darstellerisAe MögliAkeiten hat.
23 Die Stelle bereitet der Interpretation große SAwie-
rigkeiten. Lange-Fuhse, S. 221 A 1, erklärten „in Holz
schneiden". Ihnen folgte M. Friedländer, HandbuA der
Berliner Museen, das den HolzsAnitt behandelt, S. 36,
und meinte weiter, daß diese Stelle „entsAieden und
entscheidend" Zeugnis dafür ablegt, daß zu Dürers
Zeiten das Reißen, d. h. das ZeiAnen auf dem Holz-
stock, und das SAneiden (Formenschneiden) in einer
Hand vereinigt waren und daß Dürer auA sein eigener
Formschneider gewesen sei. Friedländer folgert aus der
Stelle, daß Dürer dabei „siA die eigene Tätigkeit ver-
gegenwärtigt, indem er das ZeiAnen und das SAnei-
den erwähnt".
Gegen diese Auffassungen wandte siA temperament-
voll und mit einleuAtenden praktisAen Erwägungen
FleAsig I, S. 109 ff. (vgl. sAon Wölfflin, S. 387!.). Das
Ergebnis seiner Erwägungen ist, daß Dürer an der
strittigen Stelle auf keinen Fall an die Tätigkeit des
FormsAneiders denkt und daher auA die weitere
Schlußfolgerung Friedländers hinfällig sei. Dürer wollte
sagen: der Fleiß allein bringt kein Kunstwerk hervor;
entsAeidend ist der Grad der Begabung; der künstle-
risAe Wert einer Arbeit ist unter Umständen unabhän-
gig vom Umfang und der Arbeitsdauer; Dürer nennt
als Beispiel die an einem Tag entstandene Handzeich-
nung eines Meisters oder die Kleinplastik eines Holz-
bildhauers (wie sie in Nürnberg Peter Flötner oder
Hans SAwarz, der Dürers eigenes kleines Medaillen-
bildnis in BuAsbaum modelliert hatte, pflegten). Mit
dem „Eislein" sei niAt das Messer des FormsAneiders
gemeint, sondern die verschiedenen Eisen des Holzbild-
hauers: Balleisen, Stemmeisen, SteAeisen, Hohleisen;

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