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Hugos Verhältnis zur Bildtradition

Marientod - für die Zuschreibung des hypothetischen Urbildes des Marien-
todes an Rogier.

Mit dieser in der Mansel-Miniatur wohl zuverlässig wiedergegebenen Kom-
position verbindet Hugos Brügger Marientod vor allem die Erscheinung
Christi in der Engelsglorie unmittelbar im Sterbezimmer Mariens. Im Hin-
blick auf dieses Bildelement scheint Hugo direkt auf den vermuteten Marien-
tod Rogiers zurückgegriffen zu haben. Dennoch geht seine Bildformulierung
in einem solchen Maße mit Schongauers Kupferstich überein, daß dies mit der
voneinander unabhängigen, ausschließlichen Rückführung auf ein gemein-
sames Vorbild - etwa Rogiers - allein nicht zu erklären wäre: Man beachte
dabei nicht nur die Ubereinstimmung einer Reihe von außerordentlich cha-
rakteristischen Kopftypen, sondern vor allem auch den beiden Kompositio-
nen zugrunde liegenden »horror vacui« und die damit verbundene Flächen-
bindung und »Ornamentalisierung« der Darstellung. Ungeachtet des Nach-
weises einer Schongauer wie van der Goes vorausgehenden altniederländischen
Formulierung des Marientodes, bleibt die Frage nach dem Verhältnis zwischen
Kupferstich und Brügger Tafel unverändert bestehen.

Die präzise chronologische Reihung der 115 signierten, aber sämtlich un-
datierten Kupferstiche Schongauers ist in der Forschung bis heute umstritten.
Einmütigkeit besteht aber seit W. von Seidlitz (1884)13 über die Ansetzung
des Marientod-Blattes in die erste Hälfte der 1470er Jahre. Einen sicheren ter-
minus ante quem von 1481 liefert dabei die auf dieses Jahr datierte, gestochene
Kopie des Wenzel von Olmütz14. Auf die Verwandtschaft des Schongauerschen
Marientodes mit demjenigen von Hugo in Brügge wies erstmals J. Destree
(1914)15 hin. Ohne dabei die frühe Entstehung des Schongauer-Stiches zu be-
rücksichtigen, betrachtete er ihn als Kopie nach der spätdatierten Brügger
Tafel.

In Kenntnis der Frühdatierung der Graphik (um 1470-1475), zugleich aber
überzeugt von der Spätdatierung des Brügger Bildes (um 1480-1482), wich die

13 Seidlitz (1884), S. 174f; Scheibler (1884), S. 36; Max Lehrs, Zur Datirung der Kupferstiche Martin

Schongauer's; in: Repertorium für Kunstwissenschaft 18 (1895), S. 430; Wendland (1907), S. 127;

Friedländer (1915), S. 111; Dvorak (1924), S. 176; Lehrs (1925), S. 106; Baum (1948), S. 37; Flechsig

(1951), S. 192, 304; Fifteenth Century Engravings of Northern Europe (Washington 1967), o. S.,
Cat. Nr. 41; Shestack (1969), S. XI; Zeitler (1970), S. 241; Minott (1971), S. 38; Martin Schongauer.
Das Kupferstichwerk (München 1991), S. 70-72, Kat. Nr. 16; Der hübsche Martin (Colmar 1991),

S. 266, K. 9.

14 Wurzbach (1880), S. 106; Max Lehrs, Geschichte und kritischer Katalog des deutschen, niederländi-
schen und französischen Kupferstichs im XV. Jahrhundert, Bd. 6: Martin Schongauer und seine
Schule II, Wien 1927, S. 202, L. 11.

15 Destree (1914), S. 180. Dieser Vorstellung hing auch noch Panofsky (1953), S. 3375, an: »If, as has
been assumed, this print, copied as early as 1481, were dependent on Flugo's painting the latter's
terminus ante quem would be towards 1480. The relationship between the two works is, however,
extremly doubtful...«.
 
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