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Hugos Verhältnis zur Bildtradition

tradition nachweisen. Als besonderes Merkmal dieser Anbetungsdarstellung
ist immer wieder (und zu Recht) der leere Bildraum hervorgehoben worden,
der von einem Figurenkranz eingefaßt und dadurch zugleich erst geschaffen
wird und in dessen Zentrum das neugeborene Kind hilflos am Boden liegt.
E. Panofsky (1953)34 hat die Ausdrucksmächtigkeit dieser ungewohnten Bild-
komposition eindrucksvoll beschrieben:

»In Hugo's development the position of the Portinari altarpiece ... corresponds, in a
sense, to that of the Ninth Symphony in Beethoven's. The rules and Conventions of
a >classic< form are still observed. But they are exploited, not to say strained, to the
very limits of their capacity ... Thus streams of energy seem to converge towards the
Nativity scene; but in the center of this whirlwind there is calm. Admidst the jubila-
tion of the heavenly host, the quiet reverence of the adoring angels and St. Joseph,
the touching, dumb devotion of the ox... , and the wild piety of the shepherds, the
Virgin Mary and the Christ Child are alone, encompassed by a circle of solitude. It
is in order to accentuate this sense of loneliness that the scale of the figures varies, not
according to the laws of perspective... but so as to create the illusion of distances
>measureless to man<; that the piece of ground on which the Infant is placed is so large
and so bare; and that the circle of figures surrounding Him is completed in front by
what looks like a mere still life, but is in fact the key to an exceptionally intricate
system of symbolism.«

Was wie tiugos ureigene Bildformulierung erscheint, dürfte aber mit größter
Wahrscheinlichkeit das Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung mit
einer etwa drei Jahrzehnte älteren Genter Darstellung desselben Themas sein.

In den Jahren 1445-48 wurde in Gent an das »Groot Vleeshuis«, die Ver-
kaufsstätte der Metzger-Zunft der Stadt, eine Kapelle angebaut-13. Die von
einem Spitzbogen eingefaßte Stirnseite des Raumes wurde mit einer Geburts-
darstellung bemalt (Abb. 94). Im Mittelpunkt der 3,58 m hohen und 4,36 m
breiten Komposition liegt das neugeborene Kind von einer Glorie umgeben
auf dem bloßen Boden. Kreisförmig und völlig regelmäßig umschließt ein
Kranz in Anbetung niederkniender Figuren dieses Bildzentrum, es dadurch
um so stärker betonend: Links und rechts Maria und Joseph, in der Bildtiefe
eine Hebamme, vorn zwei Engel, die eine ungeflügelte, in Rückansicht gege-
bene Orantenfigur flankieren. Nur wenige, versatzstückartig verstreute Bild-

sächlich eine bedeutende, heute verlorene Komposition dieses Themas von Rogier stehen, die ihrer-
seits Schongauer zu seinem Kupferstich angeregt haben könnte, so spräche doch nichts gegen einen
unmittelbaren Bezug zwischen Kupferstich und Hugos Brügger Tafel. Die Beziehungen zwischen
diesen beiden Werken sind jedenfalls so eng, daß das eine fraglos durch das andere beeinflußt wor-
den sein muß.

34 Panofsky (1953), S. 332f.

Auch Friedländer (1926), S. 22f, betonte die besondere kompositionelle Lösung des Portinari-
Altars.

35 Gent. Duizend Jaar Kunst en Cultuur (Gent 1975), Bd. 1, S. 63-70; Rudy van Elslande, De geboorte
van Christus in het Groot Vleeshuis; in: Ghendtsche Tydinghen 11 (1982), S. 99-108.
 
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