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Scheffler, Ludwig
Michelangelo: eine Renaissancestudie — Altenburg: Geibel, 1892

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https://doi.org/10.11588/diglit.71558#0157
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143 —
bewunderungswürdig bleibt gerade bei ihrem besonderen
religiösen Standpunkte doch wieder die Vorurtheilslosigkeit,
mit der sie die ihr so fremden seelischen Zustände würdigend
erwägt. Michelangelo war der Mann, die Grösse dieser An-
schauung voll zu erfassen. Seine Dankbarkeit ist grenzenlos
dafür. Sie findet ihren bezeichnendsten Ausdruck in dem
57. Madrigale, dem einzigen Gedichte, welches ich äusser
den angeführten und beglaubigten als an die lebende Colonna
noch gerichtet zugeben kann:
»Ein Mann in einem Weibe, ja ein Gott spricht
aus ihrem Munde; und ich, indem ich dastehe und sie höre,
wandle mich so, dass ich nicht mehr Ich bleibe. Ich fühle
es wohl, dass ich, mir selbst durch sie genommen, und also
frei von mir, auch Mitleid mit mir haben werde (im Falle
der Versuchung). Denn mit ihrem schönen Antlitze spornt
sie mich, das eitle Verlangen zu überwinden (eigentlich höher
als dasselbe zu steigen), sodass jede andere Schönheit den
Tod mir zu enthalten scheint. 0 Donna, die Ihr durch Feuer
und Wasser die Seelen zu den Tagen des Friedens führt,
gebt auclimir, dass ich nie wieder — zu mir selbst
zurückkehrel«,
Das »schöne Antlitz«, das »bei volto!« wäre, wenn ich
das Madrigal richtig bestimme, die einzige Bezeichnung in
einem Colonnagedichte, die auch auf den mächtigen Ein-
, Guasti, a. a. O., p. 94.
»Un nomo in una donna, anzi uno dio,
Per la sua bocca parla:
Ond' io per ascoltarla
Son fatto tal, che ma piii saro mio«
Und der Schluss:
»O donna, che passate
Per acqua e foco 1' alme a lieti giorni,
' Deh fate ch'a me stesso piu non torni!«
 
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