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Die Herrschaft über die Welt
sprechung in dem späteren Gotra-System hat (darüber zuletzt mit
Literatur Thieme, ZDMG 107, S.212ff.).
Der doppelte Aspekt, der bei vis- im RV noch greifbar ist: nach innen
= „Sippe“, nach außen die kleinste dem König durch Treueverhältnis
verbundene Einheit, führte ganz verständlicherweise dazu, daß in der
Brähmanazeit vis- für das Volk, die Untertanen schlechthin steht, vgl.
dazu Rau, S. 59ff„ S. 65. So konnte dann auch rdjan- mit dem Gen.
sing, von vis- stehen: J. Br. 2, 53: ... sthaviro ’smi Pancälänäm räjä . . .
aham etasyai visas tvatpürvo räjäsam . . . „Ich bin ein bejahrter König
der Pancäla . . . Ich war vor dir König dieses Volkes.“ (nach Rau,
S. 65). — Diese Entwicklung mag dadurch begünstigt worden sein, daß
die anderen Wörter für ,Volk‘ kr StA- und carsani- rasch außer Gebrauch
kamen.
kr StA- und carsani- sind gegenüber vis- größere Einheiten. Einen An-
halt, daß sie — wie die Etymologie (zu kars-) nahelegt — Ackerbauern
bezeichnet hätten, geben die Texte nicht.
3. Die Herrschaft über die Welt
Indra, Agni, Soma, Varuna und den anderen Ädityas wird nicht nur
die Herrschaft über die Stämme, sondern auch über die ganze Welt
zugeschrieben. Darin liegt für unser Denken ein Widerspruch. Die Welt-
herrschaft des einen Gottes scheint die des anderen auszuschließen.
Diese Frage führt uns in das Kernproblem des Henotheismus. Die
psychologische Erklärung, daß der gerade gepriesene Gott zu höchster
Höhe emporgehoben wird, ihm alle Machtvollkommenheit zugeschrieben
wird, während die anderen Götter verblassen und hinter ihm zurück-
treten, ist nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Sie setzt ein
Bild von der vedischen Dichtung voraus, das wesentlich emotional be-
stimmt ist. Da sich aber dieser Lobpreis, diese Zuschreibung höchster
Königswürde, in immer ähnlichen Formeln äußert, wäre diese emotionale
Haltung nicht ein echter Ansporn zu immer neuen Intuitionen, zu
immer neuen originellen dichterischen Formulierungen gewesen, sondern
könnte eher eine gedankenlose captatio benevolentiae genannt werden,
die sich einmal geschaffener Formeln an anderen, mehr oder weniger
passenden Stellen bedient und bedenkenlos einem Gott zuerkennt,
was eigentlich von einem anderen gesagt wurde. Diese durch das Gefühl
und durch das augenblickliche Bedürfnis bestimmte Haltung müßte
dann als ein Charakteristikum der ganzen vedischen Dichtung gelten.
Denn wenn man auch dem oft vorschnellen Verdikt Bloomfields über
die sekundäre Verwendungsweise eines Eormelverses in jedem Falle zu-
stimmte, bliebe das Bild des „ursprünglichen“ Restes völlig das gleiche,
so daß man nicht etwa den Henotheismus als eine Erscheinung betrach-
ten kann, die sich aus der Anwendung der geformten vedischen Dichter-
sprache in einer Zeit beginnender Erstarrung erklären ließe.
Die Herrschaft über die Welt
sprechung in dem späteren Gotra-System hat (darüber zuletzt mit
Literatur Thieme, ZDMG 107, S.212ff.).
Der doppelte Aspekt, der bei vis- im RV noch greifbar ist: nach innen
= „Sippe“, nach außen die kleinste dem König durch Treueverhältnis
verbundene Einheit, führte ganz verständlicherweise dazu, daß in der
Brähmanazeit vis- für das Volk, die Untertanen schlechthin steht, vgl.
dazu Rau, S. 59ff„ S. 65. So konnte dann auch rdjan- mit dem Gen.
sing, von vis- stehen: J. Br. 2, 53: ... sthaviro ’smi Pancälänäm räjä . . .
aham etasyai visas tvatpürvo räjäsam . . . „Ich bin ein bejahrter König
der Pancäla . . . Ich war vor dir König dieses Volkes.“ (nach Rau,
S. 65). — Diese Entwicklung mag dadurch begünstigt worden sein, daß
die anderen Wörter für ,Volk‘ kr StA- und carsani- rasch außer Gebrauch
kamen.
kr StA- und carsani- sind gegenüber vis- größere Einheiten. Einen An-
halt, daß sie — wie die Etymologie (zu kars-) nahelegt — Ackerbauern
bezeichnet hätten, geben die Texte nicht.
3. Die Herrschaft über die Welt
Indra, Agni, Soma, Varuna und den anderen Ädityas wird nicht nur
die Herrschaft über die Stämme, sondern auch über die ganze Welt
zugeschrieben. Darin liegt für unser Denken ein Widerspruch. Die Welt-
herrschaft des einen Gottes scheint die des anderen auszuschließen.
Diese Frage führt uns in das Kernproblem des Henotheismus. Die
psychologische Erklärung, daß der gerade gepriesene Gott zu höchster
Höhe emporgehoben wird, ihm alle Machtvollkommenheit zugeschrieben
wird, während die anderen Götter verblassen und hinter ihm zurück-
treten, ist nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Sie setzt ein
Bild von der vedischen Dichtung voraus, das wesentlich emotional be-
stimmt ist. Da sich aber dieser Lobpreis, diese Zuschreibung höchster
Königswürde, in immer ähnlichen Formeln äußert, wäre diese emotionale
Haltung nicht ein echter Ansporn zu immer neuen Intuitionen, zu
immer neuen originellen dichterischen Formulierungen gewesen, sondern
könnte eher eine gedankenlose captatio benevolentiae genannt werden,
die sich einmal geschaffener Formeln an anderen, mehr oder weniger
passenden Stellen bedient und bedenkenlos einem Gott zuerkennt,
was eigentlich von einem anderen gesagt wurde. Diese durch das Gefühl
und durch das augenblickliche Bedürfnis bestimmte Haltung müßte
dann als ein Charakteristikum der ganzen vedischen Dichtung gelten.
Denn wenn man auch dem oft vorschnellen Verdikt Bloomfields über
die sekundäre Verwendungsweise eines Eormelverses in jedem Falle zu-
stimmte, bliebe das Bild des „ursprünglichen“ Restes völlig das gleiche,
so daß man nicht etwa den Henotheismus als eine Erscheinung betrach-
ten kann, die sich aus der Anwendung der geformten vedischen Dichter-
sprache in einer Zeit beginnender Erstarrung erklären ließe.