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Schlosser, Julius von
Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance: ein Beitrag zur Geschichte des Sammelwesens — Monographien des Kunstgewerbes, Band 11: Leipzig, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.6757#0133
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124 v. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

dodi die Stände überhaupt ineinander. Das ist eine Erscheinung, die noch
heute in Italien auffallender ist denn anderswo, und die in den übrigen feudal
und zünftig vielschattierten Ländern kaum ein Gegenstück hat, nicht einmal in
dem frühe zu bürgerlichem Wohlstand gelangten, vielfach mit Italien verbun-
denen und verwandten Flandern, kaum auch in den großen süddeutschen
Handelsstädten. Gleich zu Anfang des XIV. Jahrhunderts enthüllen die merk-
würdigen Tagebuchnotizen eines Bürgers von Treviso, des Olivier Forzetta die
ganz modern anmutenden Sammlerinteressen des Mannes, der nach Antiken
und nach Handzeichnungen angesehener Maler fahndet. In der vollen Renais-
sance steht neben dem mit erlesenen Kunstwerken als völlig modernem In-
terieur ausgestatteten Studiolo der Isabella d'Este im grauen Schloß von Man-
tuas:1) das Atelier des Künstlers oder die Klause des weltflüchtigen Philosophen,
wie des Sabba da Castiglione S4) in seiner ritterlichen Magione zu Faenza, die
in malerischer Verwahrlosung bis heute erhalten geblieben ist.

Ahnlich wie einst in der Kaiserzeit ist der Fürst der italienischen Renais-
sance kaum mehr als ein primus inter pares, vom Privatsammler nur durdi
größere Fülle seiner Mittel unterschieden. Fast ist der Name Mediceer ebenso
zu einem Gattungsnamen geworden, wie der ihres alten etrurischen Lands-
mannes Maecen; aber sie sind nur eine vom Schicksal besonders begünstigte
Familie unter jener reichen und vielgewandten Kaufmannswelt von Florenz,
der die Strozzi, die Doni und Martelli und wie sie sonst heißen, angehören;
neben ihnen steht ganz vollwertig ein Mann banausisdier Herkunft, gleidi
Ghiberti. Ein Verzeichnis von Privatsammlungen, wie es der sogenannte
Anonymus des Morelli, Marcanton Michiel zu Anfang des XVI. Jahrhunderts
für Oberitalien hinterlassen hat, ist z. B. in Deutschland für die gleiche Zeit
gar nicht zu erwarten; auch wenn man von den Kunstschätzen in den Palästen
der Nobili Venedigs*5) und Genuas ganz absieht.

Italien, die Wiegender modernen Kunst, ist derart auch die Wiege des
modernen Sammlergeschmacks gewesen. Namentlich im Laufe des XVI.
Jahrhunderts treten die großen Bildergalerien, nidit mehr wie im Norden als
Anhängsel der Kunstkammern oder mit ihnen verquickt, sondern selbständig
und in dominierender Stellung, immer deutlicher hervor; ihr Name ist zwar
aus Frankreich überkommen und bezeichnet ursprünglich einen langen Korridor,
wie er noch jetzt den charakteristisdien Bestandteil der Uffizien, auch des
Louvre und selbst des modernen Pradomuseums in Madrid bildet; die Sadie
selbst ist aber durch und durch italienisch und für das übrige Europa vorbild-
lich gewesen.

Die angebliche Stoa poikile in der Villa Hadrians zu Tivoli ist allerdings
neueren Untersuchungen zufolge auszusdialten; dafür besitzt aber Italien, neben
den alten Museumssälen des Kastells zu Mantua, die äußerlidi nodi wohl-
erhaltene Antikenhalle des Vespasiano Gonzaga in seiner kleinen Residenz
Sabbioneta, mit einer offenen Säulenhalle unter einer durdilaufenden langen
Galerie im oberen Stockwerk; ihr einstiger Inhalt befindet sich jetzt zumeist in
Mantua (Fig. 97).8U)

Natürlich stehen die fürstlichen Sammlungen dieser Art voran, vor allem
die mediceischen in Florenz,ST) deren berühmte Tribuna mit den erlesensten
 
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