Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Schlosser, Julius
"Stilgeschichte" und "Sprachgeschichte" der bildenden Kunst: ein Rückblick — München: Verl. der Bayer. Akad. d. Wiss., 1935

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.45317#0031
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Über „Stilgeschichte“ und „Sprachgeschichte“ der bildenden Kunst 27
lismus zwischen göttlicher und menschlicher Erkenntnis, zwi-
schen Glauben und Wissen, der die mittelalterliche Scholastik so-
viel beschäftigt hat und von der auch die bildende Kunst in ihrer
Art Zeugnis ablegt. In der Philosophie ist wie in der Kunst
— sonst gerät man sofort in den Bannkreis nicht des „Klassi-
schen“, wohl aber des „Klassizistischen“ — nur das „offene“ Sy-
stem möglich, das Croce, nicht bloß als für sein besonderes Den-
ken geltend, glänzend dargelegt und verteidigt hat.
Allein mit gutem Grund wurde der Ausdruck: Problem, so-
bald es sich um künstlerische Dinge handelte, zwischen Gänse-
füßchen gesetzt; ist er nicht wie „Gesetz“ aus der ethischen, eine
Übertragung, vielmehr Erschleichung aus der logischen Geistes-
sphäre und im Grunde nur in dieser erlaubt, auf die Gefahr hin,
daß er sonst, wie so oft, zur Redefigur wird, die dann unver-
sehens hypostasiert wird ? Die Frage ist ernster Erwägung wert,
da sie an das Grundproblem aller Stilgeschichte rührt, aber wir
meinen, daß sie schon früher durch den Mund zweier bedeuten-
der Schriftsteller ihre Antwort gefunden hat: die ästhetische
„Wahrheit“ ist etwas grundsätzlich anderes als die logische;
und das künstlerische „Problem“ kann nicht auf eine andere Per-
son als seinen Urheber übertragen werden: hier gewinnt das
früher zitierte Michelangelowort seinen tiefen Sinn. Denn in dem
Augenblick, als es von jenem abgelöst wird, als individueller
Ausdruck diese Eigenschaft verliert, durch den Vorgang der Ab-
straktion ausdruckslos wird (fast fühlt man sich an Lichten-
bergs Witzwort vom Messer ohne Stiel und Klinge erinnert), ein
totes anatomisches Präparat „objektiven Stils“, dann hört es
mit Notwendigkeit auf, Gegenstand der Stilgeschichte x. e.
zu sein. Ob es dann in ein anderes Feld einzugehen und dort
wirksam zu sein vermag, wird noch zu erörtern sein. Es ist zwei-
fellos ein innerer Widerspruch, innerhalb der ersten z. B. zu be-
haupten, Tizians „geschichtliche“ Bedeutung liege darin, daß er
das „chromatische“ Problem eines Giorgions „weitergeführt“
und „vervollkommnet“, wohl gar unter Umständen auf Seiten-
oder Irrwege geführt habe, oder Rembrandt das „Chiaroscuro“
eines Lionardo, was auch gesagt wurde, obwohl es ein Unsinn
ist. Das ist die falsche „vergleichende“ Kunstgeschichte, die
ebenso und noch ärger in der sog. „Themengeschichte“ sicht-
 
Annotationen