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Schmarsow, August
Kompositionsgesetze in der Kunst des Mittelalters: 2. Halbband: Gotischer Kirchenbau und Aussenarchitektur des romanischen und gotischen Stils — Forschungen zur Formgeschichte der Kunst aller Zeiten und Völker, Band 3: Bonn: Schroeder, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.66911#0184
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SCHLUSSBETRACHTUNG
Im großen Maßstab des Kirchenbaues haben wir bis dahin die
Kompositionsgesetze der Kunst des Mittelalters zu erschließen ver-
sucht. Es kam vor allem darauf an, in den maßgebenden Gebieten
des Abendlandes die gemeinsame Grundlage nachzuweisen und das
eingeschlagene Verfahren zur Erkenntnis als durchgehends gültiges
sicherzustellen. Auf diesem Wege dürfte doch manches zutage ge-
treten sein „was den Historiker der Architektur befähigt, tiefer in
den Entstehungsvorgang der Bauwerke selber hineinzuschauen“, oder
vielleicht gar den modernen Baukünstler überzeugt, er erfahre hier
„einiges oder vieles über die tatsächlich angewandten Gesetze“1;
was aber allen Lesern mit offenen Sinnen den Pulsschlag des längst
vergangenen Schaffens wieder fühlbar macht und allen ohne Unter-
schied die Gewißheit geben muß, es habe auch damals verwandtes
Blut in den Adern gewallt und in der Tiefe der gleiche Quell des
Lebens gesprudelt. Wir brauchten ihm nur nachzulauschen, um die
vergessene Sprache seines Rauschens und Murmelns zu verstehen
und die geheimnisvolle Zauberkraft seiner Weisheit für unser eigenes
Schaffen zurückzugewinnen. Nirgends freilich ward es darauf an-
gelegt, der heutigen Baukunst die Nachahmung des Mittelalters aufs
neue zu empfehlen. Von solchem schulmeisterlichen Vorhaben ist
niemand weiter entfernt als der Verfasser dieser Studien, der „das
Wesen der architektonischen Schöpfung“ immer in der Raumgestal-
tung nach dem eigenen Raumgefühl und Raumwillen einer jeden
Zeit gesehen hat, und diese Freiheit des erfinderischen Geistes auch
den Künstlern der eigenen Zeit ans Herz zu legen trachtete, indem
er sie von aller Wiederhohlung verflossener Stile lossprach und an
den Ursprung aller Ausdruckstätigkeit in sich selber zurückwies2.
Um hier den Einblick in die Gestaltungsweise der mittelalterlichen
Baukunst zu eröffnen, haben wir nichts anderes als die sinnliche
Anschauung walten zu lassen. Daß es darauf allein abgesehen war,
lehrte schon die äußere Erscheinung des Buches, das einen Textband

1 Albrecht Haupt in der Zeitschrift für bildende Kunst, Kunstchronik März 1916.
2 Das Wesen der architektonischen Schöpfung, Antrittsvorlesung von August Schmarsow
am 8. Nov. 1893 an der Universität Leipzig. (K. W. Hiersemann, Verlag.)
 
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