Reiseeindrücke: Allgemeines
Die übliche Bildungsreise berührte neben Italien das Gebiet des heutigen Deutschland und Österreich, die
Schweiz, Frankreich, mitunter England und in seltenen Fällen auch Spanien. Italien blieb aber stets der
Höhepunkt des Ganzen. Die Gründe sind mannigfacher Art. Bereits in den ältesten Berichten wird in
erster Linie das herrliche Klima und die Schönheit der Landschaft gerühmt. Schon unseren Vorfahren muß
Italien, besonders wenn sie aus dem nordischen Winter kamen, wie ein wahres Paradies vorgekommen
sein. Die milde Luft, die warme Sonne genoß man zunächst. Staunend betrachtete man die Fruchtbarkeit
des Landes, den reichen Viehbestand, den es zu ernähren vermochte, die stattlichen Erträgnisse, die der
reiche Boden an Getreide, Wein und öl hervorbrachte, die mächtigen Flüsse, die zahlreichen Quellen, die
herrlichen von den Menschen geschaffenen Garten- und Parkanlagen: „Hic amoenissimi sunt horti, dices
Hesperidum“12 13, sagte bereits Fichard, und Hieronymus Welsch nannte Italien später aus den gleichen
Gründen „eine Königin Europas“13.
Doch nicht die Annehmlichkeiten des Klimas allein waren es, die gerade Italien als das bevorzugte
Reiseziel erscheinen ließen. Bereits Magini nannte Italien „un compendio di tutta l’Europa, perche
tutte le cose nell’altre provincie si ritrovano felicemente raccolte in lei“14, eine Aussage, die letzten
Endes auf die berühmte Stelle des sechsten Kapitels im dritten Buche der „Historia Naturalis“ des
Plinius, die wir immer wieder abgedruckt finden und die die Disposition der geographischen Werke
bis ins 18. Jahrhundert bestimmte, zurückgeht: „Italia . . . omnium terrarum alumna, eadem, et parens:
numine deorum electa, quae caelum ipsum clarius faceret, sparsa congregaret imperia, ritusque molliret,
et tot populorum discordes ferasque linguas, sermonis commercio contraheret: colloquia, et humanitatem
homini daret: breviterque, una cunctarum gentium in toto orbe patria fieret.“15 Man fand das, was man
auf der Reise suchte und wovon wir an Hand der Quellen eine Vorstellung zu geben suchten, in Italien
in besonderer Vollkommenheit vereinigt. Italien war das große Lehrbuch der Geschichte. Auf dem ganzen
Wege von der Grenze an geleiteten den Reisenden die Erinnerungen an die Größe des antiken Imperiums
und der antiken Kultur, um in Rom und vor allem in Neapel und Pozzuoli ihren Höhepunkt zu finden.
Das Erbe des Altertums hat die römische Kirche angetreten, deren Hierarchie, Überlieferung und Ver-
waltung man an keiner Stätte besser kennenlernen konnte als in Rom. Dazu kam die Zersplitterung des
Landes in eine große Zahl selbständiger Territorien, ein Zustand, der, für uns kaum mehr vorstellbar,
damals als etwas ganz Natürliches erschien. In verschiedenen dieser Staaten, in den Republiken Venedig,
Genua und Lucca, im Kirchenstaat und in Toskana, hatten sich Verfassungs- und Regierungsformen aus-
gebildet, die als die Quintessenz staatsmännischer Erfahrung galten und die zu studieren für jeden Gebil-
deten unerläßlich war.
Und zuletzt die außerordentliche Fülle von Denkmälern der bildenden Kunst. Wenn sie auch, vor allem
in der Frühzeit, mehr der Erweiterung des geschichtlichen Wissens dienten und man in erster Linie die
Monumente des Altertums der Betrachtung würdigte, so traten etwa von der Mitte des 17. Jahrhunderts
ab die Schöpfungen der modernen Kunst und gegen Ende des Jahrhunderts auch die Werke der darstellen-
den Kunst, Musik und Theater, in den Mittelpunkt des Interesses, so daß Charles Thompson Italien als
„the great school of Music and painting“ bezeichnen konnte.
12 Hier sind die lieblichsten Gärten, man könnte sagen der Hesperiden.
13 Dazu u. a. auch Benard, S. 591. Duval 1566 in der Einleitung. Jouvin, S. 303 ff., 344: „jardin de l’Europe . . . le pays le
plus agreable & le plus delicieux du Monde." Addison in der Einleitung.
14 Eine Zusammenfassung ganz Europas, denn alles, was sich in den anderen Ländern findet, ist glücklich in ihm vereint.
15 Italien.. . ein Land . . . das die Nährerin und zugleich die Mutter aller Länder ist, das die Götter ausgewählt haben,
um selbst dem Himmel mehr Glanz zu verleihen, um die zerstreuten Reiche zu vereinigen, die Sitten zu mildern, die ver-
schiedenartigen und rohen Sprachen so vieler Völker in eine gemeinsame Sprache zu verschmelzen, die Menschen Gesellig-
keit und Bildung zu lehren, kurz, um das alleinige Vaterland aller Völker des ganzen Erdkreises zu werden.
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Die übliche Bildungsreise berührte neben Italien das Gebiet des heutigen Deutschland und Österreich, die
Schweiz, Frankreich, mitunter England und in seltenen Fällen auch Spanien. Italien blieb aber stets der
Höhepunkt des Ganzen. Die Gründe sind mannigfacher Art. Bereits in den ältesten Berichten wird in
erster Linie das herrliche Klima und die Schönheit der Landschaft gerühmt. Schon unseren Vorfahren muß
Italien, besonders wenn sie aus dem nordischen Winter kamen, wie ein wahres Paradies vorgekommen
sein. Die milde Luft, die warme Sonne genoß man zunächst. Staunend betrachtete man die Fruchtbarkeit
des Landes, den reichen Viehbestand, den es zu ernähren vermochte, die stattlichen Erträgnisse, die der
reiche Boden an Getreide, Wein und öl hervorbrachte, die mächtigen Flüsse, die zahlreichen Quellen, die
herrlichen von den Menschen geschaffenen Garten- und Parkanlagen: „Hic amoenissimi sunt horti, dices
Hesperidum“12 13, sagte bereits Fichard, und Hieronymus Welsch nannte Italien später aus den gleichen
Gründen „eine Königin Europas“13.
Doch nicht die Annehmlichkeiten des Klimas allein waren es, die gerade Italien als das bevorzugte
Reiseziel erscheinen ließen. Bereits Magini nannte Italien „un compendio di tutta l’Europa, perche
tutte le cose nell’altre provincie si ritrovano felicemente raccolte in lei“14, eine Aussage, die letzten
Endes auf die berühmte Stelle des sechsten Kapitels im dritten Buche der „Historia Naturalis“ des
Plinius, die wir immer wieder abgedruckt finden und die die Disposition der geographischen Werke
bis ins 18. Jahrhundert bestimmte, zurückgeht: „Italia . . . omnium terrarum alumna, eadem, et parens:
numine deorum electa, quae caelum ipsum clarius faceret, sparsa congregaret imperia, ritusque molliret,
et tot populorum discordes ferasque linguas, sermonis commercio contraheret: colloquia, et humanitatem
homini daret: breviterque, una cunctarum gentium in toto orbe patria fieret.“15 Man fand das, was man
auf der Reise suchte und wovon wir an Hand der Quellen eine Vorstellung zu geben suchten, in Italien
in besonderer Vollkommenheit vereinigt. Italien war das große Lehrbuch der Geschichte. Auf dem ganzen
Wege von der Grenze an geleiteten den Reisenden die Erinnerungen an die Größe des antiken Imperiums
und der antiken Kultur, um in Rom und vor allem in Neapel und Pozzuoli ihren Höhepunkt zu finden.
Das Erbe des Altertums hat die römische Kirche angetreten, deren Hierarchie, Überlieferung und Ver-
waltung man an keiner Stätte besser kennenlernen konnte als in Rom. Dazu kam die Zersplitterung des
Landes in eine große Zahl selbständiger Territorien, ein Zustand, der, für uns kaum mehr vorstellbar,
damals als etwas ganz Natürliches erschien. In verschiedenen dieser Staaten, in den Republiken Venedig,
Genua und Lucca, im Kirchenstaat und in Toskana, hatten sich Verfassungs- und Regierungsformen aus-
gebildet, die als die Quintessenz staatsmännischer Erfahrung galten und die zu studieren für jeden Gebil-
deten unerläßlich war.
Und zuletzt die außerordentliche Fülle von Denkmälern der bildenden Kunst. Wenn sie auch, vor allem
in der Frühzeit, mehr der Erweiterung des geschichtlichen Wissens dienten und man in erster Linie die
Monumente des Altertums der Betrachtung würdigte, so traten etwa von der Mitte des 17. Jahrhunderts
ab die Schöpfungen der modernen Kunst und gegen Ende des Jahrhunderts auch die Werke der darstellen-
den Kunst, Musik und Theater, in den Mittelpunkt des Interesses, so daß Charles Thompson Italien als
„the great school of Music and painting“ bezeichnen konnte.
12 Hier sind die lieblichsten Gärten, man könnte sagen der Hesperiden.
13 Dazu u. a. auch Benard, S. 591. Duval 1566 in der Einleitung. Jouvin, S. 303 ff., 344: „jardin de l’Europe . . . le pays le
plus agreable & le plus delicieux du Monde." Addison in der Einleitung.
14 Eine Zusammenfassung ganz Europas, denn alles, was sich in den anderen Ländern findet, ist glücklich in ihm vereint.
15 Italien.. . ein Land . . . das die Nährerin und zugleich die Mutter aller Länder ist, das die Götter ausgewählt haben,
um selbst dem Himmel mehr Glanz zu verleihen, um die zerstreuten Reiche zu vereinigen, die Sitten zu mildern, die ver-
schiedenartigen und rohen Sprachen so vieler Völker in eine gemeinsame Sprache zu verschmelzen, die Menschen Gesellig-
keit und Bildung zu lehren, kurz, um das alleinige Vaterland aller Völker des ganzen Erdkreises zu werden.
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