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Schulz, Fritz Traugott
Typisches der großen Heidelberger Liederhandschrift und verwandter Handschriften nach Wort und Bild: eine germanistisch-antiquarische Untersuchung — Göttingen, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.3971#0055
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55

Von Veldehen Heinrich . . .
er impete daz erste ris
in tüitescher zungen.

G. v. Strassburg Tristan 4736.

Das rechte Bein ist in der angegebenen Weise vorgestreckt,
das linke Knie emporgezogen; der durch diese Haltung her-
vorgerufene Faltenwurf der oben beschriebene. Die Hechte, nur
wenig vom Schoss erhoben, macht mit ausgestrecktem Daumen
und Zeigefinger die Bewegung des Silbenzählens. Der Ober-
körper ist nach vorn gebeugt. Das jugendliche, von dichten
Locken umrahmte und zur Seile geneigte Haupt ist in die,
auf dem emporgezogenen Knie aufrollende Linke gestützt,
der Blick träumend und trauernd zur Erde gewandt. Vor
dem Sänger schwebt frei eine grosse entfaltete Schriftrolle.
Aus dem grünen Rasen des Hügels spriessen zahlreiche Blu-
men hervor. Auch der ganze Hintergrund des Bildes erscheint
mit Blumen übersät. „Es ist", wie Oechelhaeuser aufS.128
seiner Miniaturen der Heidelberger Universitätsbibliothek Th. II.
sagt, „als ob sich ein Blumenregen auf den sinnenden Sänger
herniederliesse, während sich mitten darin eine Schaar von
Vögeln umhertummelt, dem Freunde und Sänger des Natur-
lebens ihr Loblied zuzwitschernd.K

Wenn aber der genannte Gelehrte der Ansicht zuneigt,
der Maler habe unseren Sänger als dichtend und träumend,
mit anderen Worten als Dichter und in seinem Berufe als
Dichter thätig, darstellen wollen, so ist diese als eine irrige
zurückzuweisen. Hier war es nicht so sehr die Vergleichung
mit Bildern wie dem Walther's von der Vogelweide
auf S. 45 und dem Rudolfs von Neuenburg auf S. 10
unserer Handschrift, welche uns zu einer anderen Auffassung
des Bildes bestimmte, als in weit höherem Masze der Gestus
des in die Hand gestützten Hauptes, welcher der der Trauer
ist1). In nicht minder hohem Masze war aber für uns be-
stimmend die Beziehung, welche unser Bild zu einem Teile

1) Vgl. C. 45 Walther von der Vogelweide, 17 Gotfried
von Nifen u. a.ra.
 
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