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Bezirk Schwetzingen [Hrsg.]; Amtsbezirk Philippsburg [Hrsg.]
Schwetzinger Wochenblatt: Amts-Verkündigungsblatt für den Bezirk Schwetzingen ; badische Hopfenzeitung — 1870

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April (Nr. 40 - 51)
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https://doi.org/10.11588/diglit.30183#0205
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Samstag, 80. April 1870. 80. 51. Vierter Jahrgang.


Erscheint wöchentlich drei Mal nebst der belletristischen Beiaabe S o n n t a § s b l a t t. - All,. Postanstalten und Boten nehmen Bestellungenan. — P r e i s vierteljährlich 45 kr.
Inserate die dreigespaltene Petrtzeüe oder deren Raum 3 lr. L s k a l a n z e i g e n 2 kr.

Freistnnigteit und demokratischer
Schwinde!.
LO. Es ist ein altes Wahrzeichen einer auf-
richtigen und staatsmännischen Verfassung-Politik,
wenn man Schritt für Schritt die Rechte des Vol-
kes, vor Allein die Wahlrechte, auszudehnen sucht,
in gleichem Maße, wie solches die Leistungsfähig-
keit der Bürger gestattet. Die acht demokratische
Gesinnung beruht darin, daß man in stetiger Fol-
gerichtigkeit die Sachkenntnis und Arbeitslust eines
tüchtigen Bürgers an den öffentlicheil AngeleZen-
Leiten großzuziehen sucht und nie jener bequemen
Selbstgenügsamkeit verfällt, welche für alle Zeiten
in dem engeren Kreise der Mächtigen und Reichen
die politischen Einflüsse abgrenzen möchte. Dieser
stets wachsenden und sich ausdehnenden Volksbe-
rechtigung — der wahren Liebe zur bürgerlichen
Gleichheit, zugleich der besten politischen Frucht
einer wahren Humanität — muß aber die ernste
Fürsorge für die Befestigung und das sichere Ge-
deihen der öffentlichen Ordnungen des Staates
zur Seite stehen. Es wäre das Gegentheil einer
weisen Politik, wenn man die schwersten und ver-
bängnißvollsten Pflichten den Schultern der
Schwachen und Unmündigen anvertrauen wollte
Nicht nach der geraden Linie eines an sich richtig
gedachten Satzes, sondern nach der wohlgeprüsten
und durch Erfahrung bewährten Reife des politi-
schen Urtheils der Volksmaffen sind die Rechte zu
verleihen, auf deren Ausübung der Bestand der
gesammten bürgerlichen und gesellschaftlichen Ord-
nung beruht.
Eine solche besonnene Politik ist berechtigt, sich
eine ächt freisinnige und volksthümliche Richtung
zu nennen. Sie darf sich diese Eigenschaften mit
um so höherem Selbstgefühle beilegen, als sie nicht
in kleinlichem Flickwerk oder in kurzsichtiger Ueber-
stürzung, sondein mit einem das Ganze der öffent-
lichen Zustände, die Vergangenheit und die Zu-
kunft des Staates berücksichtigenden und eben darum
politisch verständnißvollem Äuge die Menschen und
Dinge betrachtet.
So waren die beherrschenden Grundgedanken,
in welchen die badischen Liberalen während des
letzten Landtages die Reform der Verfassung und
der Gemeindeordnung durchführten. Den radica-
leren Fortschritt im Sinne der Gleichberechtigung
der Bürger vollzogen sie in der Organisation der
Gemeinde. Dort wurde für die wichtigsten
Gemeindeämter — Bürgermeister und Gemeinde-
rath — nicht nur das allgemeine und von dem
Vermögensbesitz unabhängige, somit gleichheitliche
Wahlrecht geschaffen, sondern auch mit der geheimen
zugleich die directe Wahl eingeführt. Die Recht-
nrtigung für diese grundsätzliche, acht demokratische
Verfassung der Gemeinden liegt darin, daß es für
die Gesammtheit der Bürger leichter ist, in den
Lebenskreisen der Gemeinde eine reifere Erfahrung
und dadurch eine sichere Sachverständnis; sich an-
zueignen, als in den größeren und weiteren Ge-
bieten der Staatsintereffen. Die Gemeinde ist

Pierin die lehrreichste Schule für die ächte staat-
> liehe Einsicht des Volkes. Die Selbstverwaltung
gedeiht am sichersten in der Gemeinde und mit ihr,
als die Grundlage aller freien Staatseinrichtuugeu,
jene allein würdige und volksthümliche Organisation
, der Staarsbeaintung, in welcher sich das bezahlte,
berufsmäßige Beamtenperfonal mit dem bürgerlichen
l Ehrenamte verbindet nnd ergänzt. Sind wir Ba-
! dener hinsichtlich der Wahlen zur Volksvertretung
i noch einen Schritt hinter dem Gemeindewahlrecht
! zurückgeblieben durch die Beibehaltung des indirec-
! ten Wahlsystems, so ist dies nicht als ein tadelns-
werthes Versehen zu betrachten, da man den Ernst
^ und die Folgerichtigkeit des Fortschrittes grade durch
die Gemeindereform erwiesen hat, und es recht
wohl gerechtfertigt werden kann, wenn man den
zweiten Schritt hinter dem ersten, nach dem
Vorbilde einer vorsichtigen und sichern Gangart,
vollziehen will.
So dürfen wir vor Freund nnd Feind behaup-
ten, daß wir in innthiger und ehrlicher Weise eine
freisinnige Resormpolitik verfolgt nnd den können-
den Geschlechtern weite nnd vielverheißende Bahnen
des staatlichen Fortschritts eröffnet haben. Mit
gutem Rechte dürfen wir Hinweisen aus die behut-
same und umsichtige Weise, in der wirklich freie
oder im großen Style demokratisch angelegte Staa-
ten, wie das aristokratische England oder die repu-
blikanischen Vereinigten Staaten von Nordamerika,
in langgedehnten Perioden, ja in Epochen, welche
Menschenalnr umfaßten, langsam zur Reform der
Staatsgrundlage geschritten sind, und nie wnter-
bauten, ehe sie sich der Tragfähigkeit der Unter-
lagen versichert hatten.
In der That, es ist uncht als das Zeichen
eines gesunden Fortschritts anzusehen, wenn in
einzelnen Schweizerkantonen an Stelle der reprä-
sentativen Versammlungen ihrer Verstündniß erzeu-
genden nnd über die Wahrheit der Dinge auftlä-
renden Discussionen lediglich die „Ja" oder „Nein"
sprechende Maffenabstinnnung des sogen. Referen-
dum, d. h. der ungebildete Machtspruch des gro-
ßen Hausens gesetzt wird. Niemand, der in der
Geschichte der Staaten und der Verfassungen die
ersten Wahrheiten tenncn gelernt hat, wird es als»
einen Fortschritt begrüßen, wenn der Bonapartis-
mus an Stelle der Debatte einer ächten Volks-
vertretung die blinden und mit allen Kunstmitteln
eines allgewaltigen Despoten gelenkten Instinkte
des Volkshaufeus setzt. Das Plebiscit Napoleou's
III. ist der demokratisireude Schwindel, mit dein
man den Untergang alles wirklichen parlamentari-
schen Lebens, oamit aller politischen Freiheit dem
blöden Auge des Unwissenden nnd Abgängigen zu
verhüllen bemüht ist. In gleicher W.ise muß es
als freiheitlich gleißender Schwindel bezeichnet wer
den, wenn unsere Ultramont inen, d. h. die nnier-
ihänigen Werkzeuge jener Partei, welche gegenwär-
rig in der Unfehlbarkeit des Papstes eine Einrich-
tung schaffen will, welche in Niederlretung aller
menschlichen Würde und Selbstständigkeit Alles
überbietet, was die Tyrannen der Menschheitsge-
schichte sich in Jahrtausenden angemaßt haben, —

wenn sie dein badischen Volke Vorspiegeln, daß es
nur unter der Herrschaft jesuitischer Einflüsse sich
selbst und damit der Freiheit angehören werde.
Solche Vorspiegelungen werden schließlich in Nichts
Zerrinnen au der gesunden Einsicht des Volkes, an
l seinen eigenen Erfahrungen im engeren Lebenskreise
Pes Einzelnen und an den segensvollen Früchten
i eines maßvollen und eben darum dauerhaften Fort-
schritts. Das badische Volk ist treu genug gesinnt,
um diesen Segen nur ernten zu wollen in der
! Gemeinschaft mit der deutschen Nation, es ist brav
mmd tüchtig genug, um seine Erfolge von Nieman-
den zu erwarten, als von der Anstrengung- der
eigenen arbeitsgewohnten Kraft.
Baden.
* Schwetzingen^ 29. Apr. Die Häupter
der Ultramontanen sind bewunderungswürdige
Taktiker die alles ausznbenten suchen, was sie in -
den Angen der einsichtslosern Menge erheben und
ihre Gegner in ein schiefes Licht Ptzen könnte!
Die neuesten Kniffe, die sie zu diesem Zwecke
in Seene setzten, sind zu originell, als daß sie
mit Stillschweigen übergangen werden könnten.
Der wackere Baumstark — Mann des Volkes!
— legte vor einigen Tagen vor seinen Wählern
Rechenschaft über den Verlaus des Landtages ab, .
wobei er es natürlich nicht versäumte, seine u. seiner
Genossen Thaten aufs glänzendste herauszustreichen,
was ihm enthusiastische Beifallsbezeuguugeu ein-
trug. Nachdem er so einen wahren Sturm der
Gefühle uachgemsen, schlägt er andere Saiten an
und schildert nun in weichen, wehmnthsvollen Tönen
wie die liberaleil Abgeordneten von der Regierung
mit Ehren und Aemtern überhäuft (!) heimzogen,
während er und Freund Lindau vor das Schwur-
gericht nach Offeuburg verwiesen, dort wegen Preß-
vergehens dieselbe Armsünderbaut eiunehmeu werde,
aus welcher die Raubmörder Steidel und Döbich
gesessen! Was mögen sich da die Fäuste der bie-
dern Hotzeu in gerechter Entrüstung geballt habeil!
Nun das Ding ist nicht so gefährlich wie es
auf den ersten Anblick aussieht. Allerdings müssen
die Herren vor's Schwurgericht nach Offenburg,
aber ist es nicht seit Jahren der Wunsch der Presse
selbst, daß alle Preßoergehen durch Geschworne
abgenrtheilt werden und haben die ultramontanen
Abgeordneten und Preßorgane nicht ebenfalls seither
darauf hingearbeitet, daß dieses Gesetz zu Stande
kam?
Entweder verlangen diese Herren im gegebenen
Falle jetzt eine Ausnahmsstellung und sind feig-
herzig genug, sich der Tragweite des Gesetzes ent-
ziehen zu wollen oder sie sucheil aus ihrer angeb-
lichen Verfolgung Capital für sich zu schlagen!
Ein anderer Fall, dessen tragischer Beginn —
gewiß zum größten Aerger des Betreffenden selbst
— eine sogar erheiternde Wendung nahm, ist dein
Busenfreunde Liudan's, dem Volkstribnn Bissing
zugestoßen. Derselbe war einer Ehrentrüukuug
Or. Schmieders wegen zu einer Otägigeu Festungs-
haft verurtheüt. Nah Beendigung der Landtags-
thätigkeit Vissings wurde ihm die freundliche
 
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