CRONICA TERRE PRUSSIE. BEILAGE 8.
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Grundeigentümer ihres Besitzes sei, keinesweges durch Brief und Siegel verschrieben.
Von diesem eingeschränkten und ungewissen Besitze hatten sie erstlich den Decem,
und zwar in Natur und je nach dem Ertrage jedes Jahres, abzutragen, während die
begünstigteren Klassen, wenn er ihnen nicht ganz erlassen war, nur ein bestimmtes
keinesweges hoch angesetztes Maass von Getraide statt desselben lieferten1. Noch
drückender aber als der Decem waren die- Bäuerlichen Arbeiten, und die auf den Krieg
bezüglichen Dienstleistungen. Der Orden behielt einen Theil der liegenden Gründe
des Landes in eignen Händen und bediente sich zur Bewirtschaftung derselben der
Arbeitskräfte der Bauern, die also für ihn Heu schlagen, Getraide hauen, Fuhren stel-
len und anderes Schaarwerk verrichten mussten2. Zum Kriegsdienst wurden die
Bauern nicht nur aufgeboten, wenn es die Verteidigung des Landes gegen einen ein-
gefallenen Feind galt, sondern auch, wenn ein Heereszug in Feindes Land unternom-
men werden sollte. Sie dienten in der Regel wohl zu Fuss, und bildeten, wenn nicht
das ganze, doch den grössten Theil des Fussvolks in den Ordensheeren. Zu den Dien-
sten für den Krieg gehörte aber auch das Bauen, Bessern und Brechen von Schlössern
und Befestigungen, bei welchen die Bauern ebenfalls frohnden mussten3. Es versteht
sich, dass die Stellung der Bauern in den bischöflichen Landen im Ganzen ebenso
bestimmt wurde4.
Aber nicht alle Bauern kamen oder blieben unter der unmittelbaren Herrschaft
des Ordens und der Bischöfe, da theils frühere Dienstverhältnisse der unterworfenen
Preussen fortbestanden, theils neue angeordnet wurden. Eine besondere Bestimmung
über die Stellung der Bauern zu ihrer Gutsherrschaft findet sich aber nur ausnahms-
weise. Wo sie vorkommt, ist sie fast durchgängig derselben Art, und besagte, dass
die Gutsherren von den Gutsunterthanen äusser dem Decem dieselben Dienstleistungen
zu fordern hätten, wie die Landesherrschaft sie von ihren Bauern forderte. Nur die
auf den Krieg bezüglichen Dienstleistungen der Bauern behielt sich die Landesherrschaft
vor : denn es heisst in den Güterverschreibungen, in welchen von Gutsunterthanen
die Rede ist, fast regelmässig, der Gutsherr habe bei den Heerzügen, Landwehren und
Befestigungsarbeiten, so oft er gerufen werde, mit denselben sich einzustellen5. Mit
der Verleihung des Decems und der Dienstleistungen der Bauern an einen Gutsherrn
war die Uebertragung der niederen Gerichtsbarkeit, wie es scheint , gewöhnlich ver-
bunden. Die höhere Gerichtsbarkeit, d. h. diejenige, welche an Hand und Hals ging,
übergab die Landesherrschaft den Gutsherrn zwar nicht selten, aber auch nicht zu
freigebig6.
1) Voigt 3, 456 sagt, auch die Bauern hätten statt des Decems das kulmische Getraide-
maass gegeben, aber wohl nicht mit Recht. In den Verschreibungen wird, wo von dem
Zehnten der Bauern die Rede ist, immer schlechtweg der Ausdruck decimae gebraucht, was
nie geschieht, wo das kulmische Getraidemaass gemeint ist. Dieses wird vielmehr stets aus-
drücklich bezeichnet, oft mit dem Zusatz loco decimae u. dgl. Teneantur — solvere - men-
suram — et denarium coloniensera secundum quod alibi in terra prusie nomine decime est
consuetum. Urk. von 1 282. Monum. Warm. I, n. 59. Daher Zehntfreiheit neben Scheffel-
maass, woran V. 3, 450 Anstoss nahm. Ueberdies kommen in dem alten preussischen Recht
(wie auch in der Handfeste der polnischen Ritter Cod. dipl. Pr. I, n. 163) Zchntner vor, die
auf dem Felde die zehnte Garbe in Empfang nehmen.
2) Die rusticalia Opera werden oft genug erwähnt. Besonders interessant in dieser Hin-
sicht ist aber die Verschreibung Konrads von Thierberg für Padangen und Naquit von 1 276,
in welcher die angeführten bäuerlichen Dienste beispielsweise aufgezählt werden. Sie steht
unter den Verschreibungen der Freien des Eibinger Komthurbezirks, Elb. Exemplar p. 174
(das Königsberger Exemplar dieser Verschreibungen ist durch das Alter schon fast unbrauch-
bar geworden).
3) Es heisst z. B. Nihilominus in expedicionem ire, ad propugnacionem terre venire, ad
municionem urbium et civitatum juvare, cum ipsis intimatum fuerit, sint astricti Cod. dipl.
Pruss. I, n.117. Solche und noch mehr in das Einzelne gehende Wendungen sind sehr häufig.
4) Wir übergehen hier die Custodiales, das Schalwenkorn und das Messkorn als solche
Lasten, die allmählig eingeführt auch die Freien trafen. Ebenso lassen wir hier den Zins
äusser Acht, welcher erst im 14. Jahrhundert aufgekommen zu sein scheint.
5) Bemerkenswerth sind folgende vereinzelte Abweichungen ; in der Verschreibung Kon-
rads von Feuchtwangen für Sambango Fol. X, p. 72 : et predicti Sainbangi servitores et sub-
diti et villani fratribus nostris servire non tenebuntur; und in der Verschreibung Konrad
Sack’s für Bute, Kreuzfeld S. 45: nihil nobis juris in eis vel in colonis, quos ibidem locare
poterunt, reservantes — wenn dies anders Abweichungen sind.
6) Die Belege für mehrere der hier aufgestellten Sätze an einei' andern Stelle.
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Grundeigentümer ihres Besitzes sei, keinesweges durch Brief und Siegel verschrieben.
Von diesem eingeschränkten und ungewissen Besitze hatten sie erstlich den Decem,
und zwar in Natur und je nach dem Ertrage jedes Jahres, abzutragen, während die
begünstigteren Klassen, wenn er ihnen nicht ganz erlassen war, nur ein bestimmtes
keinesweges hoch angesetztes Maass von Getraide statt desselben lieferten1. Noch
drückender aber als der Decem waren die- Bäuerlichen Arbeiten, und die auf den Krieg
bezüglichen Dienstleistungen. Der Orden behielt einen Theil der liegenden Gründe
des Landes in eignen Händen und bediente sich zur Bewirtschaftung derselben der
Arbeitskräfte der Bauern, die also für ihn Heu schlagen, Getraide hauen, Fuhren stel-
len und anderes Schaarwerk verrichten mussten2. Zum Kriegsdienst wurden die
Bauern nicht nur aufgeboten, wenn es die Verteidigung des Landes gegen einen ein-
gefallenen Feind galt, sondern auch, wenn ein Heereszug in Feindes Land unternom-
men werden sollte. Sie dienten in der Regel wohl zu Fuss, und bildeten, wenn nicht
das ganze, doch den grössten Theil des Fussvolks in den Ordensheeren. Zu den Dien-
sten für den Krieg gehörte aber auch das Bauen, Bessern und Brechen von Schlössern
und Befestigungen, bei welchen die Bauern ebenfalls frohnden mussten3. Es versteht
sich, dass die Stellung der Bauern in den bischöflichen Landen im Ganzen ebenso
bestimmt wurde4.
Aber nicht alle Bauern kamen oder blieben unter der unmittelbaren Herrschaft
des Ordens und der Bischöfe, da theils frühere Dienstverhältnisse der unterworfenen
Preussen fortbestanden, theils neue angeordnet wurden. Eine besondere Bestimmung
über die Stellung der Bauern zu ihrer Gutsherrschaft findet sich aber nur ausnahms-
weise. Wo sie vorkommt, ist sie fast durchgängig derselben Art, und besagte, dass
die Gutsherren von den Gutsunterthanen äusser dem Decem dieselben Dienstleistungen
zu fordern hätten, wie die Landesherrschaft sie von ihren Bauern forderte. Nur die
auf den Krieg bezüglichen Dienstleistungen der Bauern behielt sich die Landesherrschaft
vor : denn es heisst in den Güterverschreibungen, in welchen von Gutsunterthanen
die Rede ist, fast regelmässig, der Gutsherr habe bei den Heerzügen, Landwehren und
Befestigungsarbeiten, so oft er gerufen werde, mit denselben sich einzustellen5. Mit
der Verleihung des Decems und der Dienstleistungen der Bauern an einen Gutsherrn
war die Uebertragung der niederen Gerichtsbarkeit, wie es scheint , gewöhnlich ver-
bunden. Die höhere Gerichtsbarkeit, d. h. diejenige, welche an Hand und Hals ging,
übergab die Landesherrschaft den Gutsherrn zwar nicht selten, aber auch nicht zu
freigebig6.
1) Voigt 3, 456 sagt, auch die Bauern hätten statt des Decems das kulmische Getraide-
maass gegeben, aber wohl nicht mit Recht. In den Verschreibungen wird, wo von dem
Zehnten der Bauern die Rede ist, immer schlechtweg der Ausdruck decimae gebraucht, was
nie geschieht, wo das kulmische Getraidemaass gemeint ist. Dieses wird vielmehr stets aus-
drücklich bezeichnet, oft mit dem Zusatz loco decimae u. dgl. Teneantur — solvere - men-
suram — et denarium coloniensera secundum quod alibi in terra prusie nomine decime est
consuetum. Urk. von 1 282. Monum. Warm. I, n. 59. Daher Zehntfreiheit neben Scheffel-
maass, woran V. 3, 450 Anstoss nahm. Ueberdies kommen in dem alten preussischen Recht
(wie auch in der Handfeste der polnischen Ritter Cod. dipl. Pr. I, n. 163) Zchntner vor, die
auf dem Felde die zehnte Garbe in Empfang nehmen.
2) Die rusticalia Opera werden oft genug erwähnt. Besonders interessant in dieser Hin-
sicht ist aber die Verschreibung Konrads von Thierberg für Padangen und Naquit von 1 276,
in welcher die angeführten bäuerlichen Dienste beispielsweise aufgezählt werden. Sie steht
unter den Verschreibungen der Freien des Eibinger Komthurbezirks, Elb. Exemplar p. 174
(das Königsberger Exemplar dieser Verschreibungen ist durch das Alter schon fast unbrauch-
bar geworden).
3) Es heisst z. B. Nihilominus in expedicionem ire, ad propugnacionem terre venire, ad
municionem urbium et civitatum juvare, cum ipsis intimatum fuerit, sint astricti Cod. dipl.
Pruss. I, n.117. Solche und noch mehr in das Einzelne gehende Wendungen sind sehr häufig.
4) Wir übergehen hier die Custodiales, das Schalwenkorn und das Messkorn als solche
Lasten, die allmählig eingeführt auch die Freien trafen. Ebenso lassen wir hier den Zins
äusser Acht, welcher erst im 14. Jahrhundert aufgekommen zu sein scheint.
5) Bemerkenswerth sind folgende vereinzelte Abweichungen ; in der Verschreibung Kon-
rads von Feuchtwangen für Sambango Fol. X, p. 72 : et predicti Sainbangi servitores et sub-
diti et villani fratribus nostris servire non tenebuntur; und in der Verschreibung Konrad
Sack’s für Bute, Kreuzfeld S. 45: nihil nobis juris in eis vel in colonis, quos ibidem locare
poterunt, reservantes — wenn dies anders Abweichungen sind.
6) Die Belege für mehrere der hier aufgestellten Sätze an einei' andern Stelle.