Bücher-Freunde und Bücher-Narren.
Altwiener Reminiszenzen.
Von Friedrich Schlögl*).
Einer meiner Freunde war's, der zu sagen pflegte: „Jeder
Sammler ist ein unglücklicher. Mensch!" Im freudigen
Bewußtsein meines „bunten" Besitzes, begriff ich die lieblose
Aeußerung lange nicht, bis ich eines Tages plötzlich gewahr
wurde, daß ich selbst der unglücklichste Mensch in diesem
schönen Jammertale sei! Ich konnte mich nämlich in dem auf-
gestapelten Chaos meines Kämmerleins nicht mehr zurechtfinden,
der Wust erdrückte mich, das Ideal meines Sammelfleißes: die
systematische Ordnung nach Materien war bei der Unzulänglichkeit
des Raumes, meiner physischen Kräfte und der mir zu Gebote
stehenden Zeit nicht mehr zu erreichen, wogegen mich aber
nebsfbei noch immer der Gedanke folterte: was und wie vielerlei
mir zur Komplettierung meiner Lieblingsfächer fehle und daß ich
in der Eigenschaft eines simplen Lokal-Feuilletonisten wohl nie
über die Mittel zu verfügen haben werde, meine stillen Träume
und heißen Ergänzungswünsche je erfüllt zu sehen. Warum begann
ich dann zu sammeln? In diesem finsteren Augenblicke erschien
mir mein mühevoller Kultus als zwecklose Narrheit, ich rang wie
verzweifelnd nach Atem und hätte, wäre ein k. k. sogenannt
„beeideter" Schätzmeister zur Stelle gewesen, ihn beschworen,
meine Wände, Kästen und Schränke zu leeren, hätte ihm den
gesamten Plunder um einen Pappenstiel zugeschlagen, wäre, mit
dem Erlös in der Tasche, lustig auf's Land gefahren und hätte
etwa mein bereits bezahltes Grab in Purkersdorf besucht oder
andere Kurzweil getrieben. Leider kam's nicht so vernünftig, mir
■blieb das ganze papierene Geraffel am Halse, ich sitze heute
noch mitten d'rin und verwünsche den fatalen Sport.
Ob's mir Ernst mit dein leichtfertigen Geständnisse? Ach,
indem ich einen Blick nach meinen vermeintlichen Schätzen werfe,
um mich über sie zu ärgern, wird es mir wieder warm um's Herz,
leise Wehmut beschleicht mich bei dem Gedanken, daß ich mich
ja doch einst, und zwar in nicht allzulanger Frist von ihnen
*) Aus „Das kuriose Buch. Eine Spende für Gleichgesinnte und für
Gegner." Wien, A. Hartleb en's Verlag, 1882.
Versteigerungskatatalog der Bibliothek Friedrich Schlögl.
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Altwiener Reminiszenzen.
Von Friedrich Schlögl*).
Einer meiner Freunde war's, der zu sagen pflegte: „Jeder
Sammler ist ein unglücklicher. Mensch!" Im freudigen
Bewußtsein meines „bunten" Besitzes, begriff ich die lieblose
Aeußerung lange nicht, bis ich eines Tages plötzlich gewahr
wurde, daß ich selbst der unglücklichste Mensch in diesem
schönen Jammertale sei! Ich konnte mich nämlich in dem auf-
gestapelten Chaos meines Kämmerleins nicht mehr zurechtfinden,
der Wust erdrückte mich, das Ideal meines Sammelfleißes: die
systematische Ordnung nach Materien war bei der Unzulänglichkeit
des Raumes, meiner physischen Kräfte und der mir zu Gebote
stehenden Zeit nicht mehr zu erreichen, wogegen mich aber
nebsfbei noch immer der Gedanke folterte: was und wie vielerlei
mir zur Komplettierung meiner Lieblingsfächer fehle und daß ich
in der Eigenschaft eines simplen Lokal-Feuilletonisten wohl nie
über die Mittel zu verfügen haben werde, meine stillen Träume
und heißen Ergänzungswünsche je erfüllt zu sehen. Warum begann
ich dann zu sammeln? In diesem finsteren Augenblicke erschien
mir mein mühevoller Kultus als zwecklose Narrheit, ich rang wie
verzweifelnd nach Atem und hätte, wäre ein k. k. sogenannt
„beeideter" Schätzmeister zur Stelle gewesen, ihn beschworen,
meine Wände, Kästen und Schränke zu leeren, hätte ihm den
gesamten Plunder um einen Pappenstiel zugeschlagen, wäre, mit
dem Erlös in der Tasche, lustig auf's Land gefahren und hätte
etwa mein bereits bezahltes Grab in Purkersdorf besucht oder
andere Kurzweil getrieben. Leider kam's nicht so vernünftig, mir
■blieb das ganze papierene Geraffel am Halse, ich sitze heute
noch mitten d'rin und verwünsche den fatalen Sport.
Ob's mir Ernst mit dein leichtfertigen Geständnisse? Ach,
indem ich einen Blick nach meinen vermeintlichen Schätzen werfe,
um mich über sie zu ärgern, wird es mir wieder warm um's Herz,
leise Wehmut beschleicht mich bei dem Gedanken, daß ich mich
ja doch einst, und zwar in nicht allzulanger Frist von ihnen
*) Aus „Das kuriose Buch. Eine Spende für Gleichgesinnte und für
Gegner." Wien, A. Hartleb en's Verlag, 1882.
Versteigerungskatatalog der Bibliothek Friedrich Schlögl.
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