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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0247
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Textile Kunst. Processe. Sticken.

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und frühen Ein wirkens der Künste der Nadel und des Web-
stuhls auf den Stil und den Entwicklungsgang aller bildenden
Künste erkennen ?
Die Methode des Quadrirens der Wandflächen um in die
Quadrate die Darstellungen hineinzutragen, wie sie in Aegypten
von Alters her geübt wurde, kennen wir aus Bildern die unvoll-
endet blieben und deren Netzwerk sich erhielt. — Die Skulptur
und Malerei der Aegypter war eine auf Wänden ausgeführte
Stickerei im Kreuzstiche mit allen stilistischen Eigenschaften der
letzteren; — die seit Urzeiten in Asien übliche Technik der
Malerei und Skulptur dagegen entspricht vollkommen demjenigen
Stile welcher der Plattstickerei angehört.
Die Archäologen haben in den figurirten Stoffen auf welche
häufige Stellen der ältesten heiligen und profanen Bücher an-
spielen und deren Bereitung mehrfach beschrieben oder doch
angedeutet wird, nur künstliche Gewebe und keine Sticke-
reien erkennen wollen und daraus gefolgert dass letztere, das
opus Phrygionium, eine verhältnissmässig neue Erfindung sei. 1
Ich glaube nicht daran, sondern vermuthe eine einseitige Aus-
legung von Ausdrücken wrie fyndcscsrv, , yodtysiv,
vcpaiveiv etc. die vielsinnig sind und sich auf Weberei, Stickerei,
sogar auf Malerei und alle möglichen andern Darstellungsweisen
beziehen lassen. Die Kunststickerei ist sicher älter als die Kunst-
weberei , 2 wenn man das Darstellen von Figürlichem und von
Argumenten durch Fäden auf Geweben darunter versteht; dafür
aber mag die Buntweberei vielleicht früher entstanden sein als
die Bu ntStickerei, d. h. als das einfache gestickte Muster, welches
als Nachahmung des gewebten Musters gelten kann und der Vor-
schrift des gewebten Netzes folgt. Die assyrischen Reliefs sind auch
in dieser Frage für uns von grösstem Interesse, denn die altern
stellen uns nichts wie gestickte und zwar reich mit Argumenten
in dem opus plumarium ausgeführte Gewänder vor Augen; aber
1 Böttiger, Vasengem. 3. Heft 39. Hartmann die Hebräerin am Putztische
III. p. 141. Vergl. jedoch Goguet, Origine des Lois IT. p. 108. Salmas, H.
A. p. 511, 126, 127, 224, 311, 394, 894, 858. Schneider ad Scrpt. R. Rust,
in Indice p. 360—61.
2 Martial XIV. Epigr. 50.
Haec tibi Memphitis tellus dat munera ; victa est
Pectine Niliaeo jam Babylonis acus.
 
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