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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0269
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Textile Kunst. Das Prinzip der Bekleidung in der Baukunst. 219
Sinne erklärt wird, für die richtige Auffassung der klassischen
Kunst sehr hinderlich, so verloren dadurch jene umgebenden und
vorbereitenden Theile des zerstückelten Bildes , die Parerga des-
selben, vollends alle ihre Beziehungen. So erklärt es sich, dass
viele Bewunderer der Klassicität, denen der Sinn für Grösse und
für das Mannichfaftige im Schönen nicht natürlich innewohnt
sondern die sich eigentlich erst in die Schönheitsbegeisterung
hineinstudirten, aus Vorurthcil und mangelnder Selbstständigkeit
des Geschmacks in eine souveräne Verachtung der sogenannten
barbarischen Kunst hineingeriethen, uneingedenk der Bewunde-
rung welche die Hellenen selbst, wie Herodot, Xenophon, Ktesias,
Polybios, Diodor und Strabo, der Grösse und Harmonie dieser
barbarischen Werke zollten. Die Einstimmigkeit hellenischer
Schriftsteller aus der besten Zeit über die Monumente Asiens
und Aegyptens hätte über den Werth derselben aufklären sollen
und in Ermangelung eines eigenen Urtheils musste conse-
quenterweise diess hellenische Schiedsgericht als Massstab der
Schätzung jener Werke dienen. Aber man ist hellenischer ge-
sinnt als selbst die Hellenen, überbarbarisirt das Barbarenthum
und denkt dabei an eine Art modifizirter Menschenfresserei, ob-
schon es nur einen Gegensatz bezeichnet der nicht ursprünglich
zwischen griechischem und ungriechischem Wesen bestand, sondern
erst eintrat wie jene lang vorbereitete Blüthe allgemeiner antiker
Völkerkultur sich auf Hellas Boden entfaltet hatte. Die home-
rische Sprache kennt dieses Wort noch nicht, weil damals der
Begriff noch nicht existirte dem es entspricht , der sich erst viel
später zwischen hellenischem und barbarischem Wesen als Gegen-
satz beider gestaltete. Auch die hellenische Kunst ist in ihren
Elementen barbarisch und wir müssen durch Erforschung dieser
barbarischen Elemente, woraus sich die hellenische Kunst entfal-
tete, das Studium der letzteren vorbereiten, müssen Helena, die
leibhaftige, lebendige, wahre, wieder von den ,,Müttern“ herauf-
beschwören.
Ein anderer Kontrast ist für uns nicht minder bedeutsam:
das Mittelalter und die Antike. Das jetzt erst besser erkannte
Mittelalter, mit seiner romantischen Architektur und Kunst im
Allgemeinen, führt uns durch Vermittlung des Römerthums wie-
der auf das uralte Bildungsprinzip zurück, zeigt sich aber zu-
gleich im entschiedensten Kampfe gegen dasselbe und in beiden
 
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