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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0334
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Viertes Hauptstück.

Das Eingehen in diese wichtige Frage ist hier freilich noch
nicht am Orte, jedoch sei noch erwähnt wie bis in das Mittel-
alter hinein im östlichen und westlichen Europa das Freilassen
der Interkolumnien gar nicht Sitte war. Des Anastasius Biblio-
thecarius Lebensbeschreibungen der Päbste wimmeln von Stellen
die dieses beweisen; z. B. liess Sergius (a. C. 687) vier weisse
und vier scharlachne Vorhänge (tetravelia) für den Umgang des
Altares der Basilika St. Peters machen. Johann der 6. (701)
machte zwischen den Säulen des Altares, rechts und links,
weisse Vorhänge. St. Zacharias machte in der Kirche St. Peter
und Paul hängende Teppiche zwischen den Säulen des Mittel-
schiffs (742). Stephan IV. machte neben dem Haupteingange der
Basilika S't. Peters Vorhänge von Silbergewebe von bewunderns-
würdiger Grösse. Derselbe stiftete für sämmtliche Arkaden der-
selben Kirche aus typischen und gemusterten Stoffen (de palliis
Tyriis atque fundatis) fünfundsechzig Vorhänge (im Jahre 768)
u. s. w.
Derselbe Gebrauch war auch in Frankreich1 England und
Deutschland allgemein, und dauerte fort bis ins 12. und 13. Jahr-
hundert, d. h. bis zur Einführung des neuen gothischen Baustils.
Die reformirten Mönchsorden, besonders der Orden von Cluny
eiferten gegen diesen Luxus der Kirchenparamente, der später nur
noch für festliche Gelegenheiten gestattet war.
Noch ursprünglicher und vollständiger erhielt sich der antike
Gebrauch im Osten, woselbst er niemals abgeschafft worden ist.2
Das Gesagte betrifft die Sitte des Verhängens und Abschliessens
der Räumlichkeiten durch vertikale Vorrichtungen des Tapeziers,
in Verbindung mit den eigentlich architektonischen Theilen des
worden. Müller wagt nicht deren Anwendung zu bestimmen (Archäol. 157. 2).
Sollten sie nicht gemalte Relieftafeln oder nach Umständen blosse Gemälde
bezeichnen, die nach Art der Draperieen oder Stören die Interkolumnien der
Stoen bis zu einer gewissen Höhe ausfüllten? Wollte man nicht starr an
dem materiellen Begriffe des Wortes pinakion festhalten, so liessen sich
jedoch auch jene Flachreliefs der Säulen Trajans und Antonins Säulenbilder
(stylopinakia) nennen.
1 In den miraculis Sti Benedicti liest man dass 1095 die Kirche von Fleury
sur Loire init vielen Teppichen geschmückt war. (D’Achery Spicileg). Vgl. auch
Gregor von Tours passim.
2 Ch. Müller. Commentatio historica de genio moribus et luxu aevi Theo-
dosiani p. 122. f.
 
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