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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — München: Bruckmann, 1878

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https://doi.org/10.11588/diglit.66814#0196
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Viertes Hauptstück.

von den Thieren und sonstigen eingewirkten Verzierungen der durch sie
bezeichneten Stoffe abgeleitet werden müssen.
Es ist hier nicht überflüssig, nochmals zu betonen, dass die von
Anastasius und andern so häufig erwähnten geschichtlichen Darstellungen
auf kirchlichen Stoffen wohl sicher nicht gewebt, sondern gestickt
waren, denn sie wurden, wie aus den beschriebenen Gegenständen her-
vorgeht, weder in dem muselmännischen Oriente noch zu Konstantinopel
verfertigt, sondern zum Theil im äussersten Westen Europas und gewiss
auch des öftern in Italien und unter den Augen der Päpste, die sie
machen liessen, zu Rom selbst. Nun hatte man damals in Italien und
in England, wie wenigstens allgemein angenommen wird, noch keine
Seidenfabriken, vielweniger Teppichwirkereien in der Weise der Arras-
manufakturen, die erst gegen das Ende des Mittelalters aufkamen, deren
Stoff die Wolle ist und die selbst eigentlich nur grossartige Stickanstalten
sind, deren Technik ein Mittelding zwischen Weben und Sticken bildet.
Zugleich geht hieraus hervor, in wie beschränktem Sinne die Annahme,
wonach vor der Einführung der Seidenkultur in Sicilien durch die nor-
männischen Fürsten nur in Griechenland, nicht in Italien, Seidenmanu-
fakturen bestanden haben sollen, ihre Richtigkeit habe, da grossartige
Kunstwerke in Seide schon viel früher im Westen, zwar nicht gewebt, aber
doch gestickt worden sind. — Es ist nicht einmal erwiesen, dass die zu
diesei’ Industrie erforderlichen glatten Stoffe, falls sie aus Seide bestehen
sollten, alle aus dem Auslande bezogen werden mussten. Es konnte da-
mals die von auswärts eingeführte gefärbte oder rohe Seide im Inlande
zu einfachen Geweben verarbeitet werden, gerade wie diess bereits zur
späteren Kaiserzeit geschah, was die oben angeführten, nicht byzantini-
schen, sondern spätrömischen historiirten Seidenstoffe darzulegen scheinen,
und wie, trotz der Entwicklung der Seidenmanufaktur in so kolossalen
Verhältnissen, es in den westlichen Ländern noch heutigen Tages geschieht.
Das grosse Verdienst der normännischen Könige bestand allein in der
Verbreitung des Maulbeerbaumes und der Seidenwurmzucht in den von
ihnen beherrschten Ländern und der grossartigen Protektion und Erwei-
terung, die sie der bereits viel früher von den Sarazenen in Sicilien
begründeten Seidenmanufaktur zu Theil werden liessen. Sie machten
daraus eine monopolisirte Fabrikanlage, wahrscheinlich mit gleichzeitiger
Unterdrückung aller Privat-Industrie, in welcher Sarazenen neben einigen
griechischen Arbeitern und Arbeiterinnen die Werkführer und geschick-
testen Producenten waren.
Hugo Falcandus, der gleichzeitige Geschichtschreiber Siciliens (Ende
 
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