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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 2): Keramik, Tektonik, Stereotomie, Metallotechnik für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — München: Bruckmann, 1879

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https://doi.org/10.11588/diglit.66815#0584
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570

Anhang.

übertragen, eine herrliche, aber schwere Aufgabe,- da es, der katholischen
Kirche gerade gegenüber, Pöpelmanns unvergleichlichem Zwinger vor-
gelegt werden sollte, also in diesen Meisterwerken die gefährlichsten
Nachbarn hatte, mit denen es sich in Harmonie setzen musste. Dennoch
hat Semper die Aufgabe in so hervorragender Weise gelöst, dass seine
Gallerie bis heute weitaus die zweckmässigste in Europa geblieben
ist — und eine der schönsten dazu, obwohl er leider die Ausführung
nicht mehr selber leiten konnte. Was das aber heisst, kann jeder
ermessen, der weiss, wie der Architekt die Wirkung der meisten Details
gar nicht anders beurtheilen kann als am Bau selber und sie darnach
zu modifiziren genöthigt ist. Daraus allein schon ist manche Härte in
der Ausführung zu erklären. Dennoch gehört der Mittelbau, auf welchen
Semper fast die gesammte plastische Verzierung konzentrirte, zum schön-
sten, was die neuere Baukunst überhaupt geleistet, ebenso das Vestibül
und die grosse Treppe. Hier wirkte denn freilich das Genie Häbnels
und Rietschels, welche gemeinsam die überaus reiche, plastische Ver-
zierung übernommen, so entscheidend mit, dass dieses Stück uns direkt
an die besten Schöpfungen des XVI. Jahrhunderts erinnert. Auch hier
finden wir wiederum jenes Talent der Charakteristik bethätigt, das uns
keinen Augenblick im Zweifel darüber lässt, dass dieser Prachtbau nur
ein Museum der bildenden Künste sein könne.
Dresden hat wohl nie eine so glänzende Epoche erlebt, wie damals
unmittelbar vor den Ereignissen des Jahres 1848, die sich ja schon lange
genug vorbei’ angekündigt. Neben Semper, Rietschel und Hähnel waren
von Künstlern Schnorr, Bendemann und Hübner hinzugekommen, die
alle zahlreiche und hochbegabte Schüler um sich versammelt, unter denen
sich Schilling, Wittig, Kietz, Dondorf, Breymann, Wislicenus, H. Hofmann,
Ramberg u. a. m. bereits bekannt gemacht, während Ludwig Richter,
Dahl u. a. m. noch in voller Kraft wirkten. In der Musik glänzten
Reissiger, Hiller, Schumann neben dem neu aufgehenden Gestirn Richard
Wagners; das Theater hatte in der Schröder-Devrient, Emil und Eduard
Devrient, Pauli, der Bayer-Bürk Sterne erster Grösse, wie die Literatur
durch Gutzkow, Auerbach, Gustav Freytag, Gräfin Hahn-Hahn, Julius
Hammer u. a. m. vertreten war. In der Politik machten sich Köchly,
Julius Fröbel durch idealistischen Ungestüm und glänzende Persönlichkeit
bemerkbar. Verkehrten alle diese ausgezeichneten Männer und Frauen,
die eine neue Welt im Busen trugen, ja zum Theil mit der bestehenden
Ordnung in Deutschland aufs höchste unzufrieden waren, nun unauf-
hörlich mit einander, wie es hier wirklich dei’ Fall war, so musste da-
 
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