Anhang.
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durch von selbst eine geistige Gährung, eine mächtig gehobene Stim-
mung entstehen, die nur des kleinsten Anlasses bedurfte, um in offenen
Flammen aufzulodern. Die Revolution war in den Geistern vollständig
fertig, das Jahr 1848 kaum nöthig, um sie auf die Strasse zu verpflanzen.
Es kam und stäubte in wenigen Wochen alle auseinander, da ihr Ver-
hältniss zu diesen Dingen nach Temperament und Charakter ein gar sehr
verschiedenes war, und sich alsbald die als politische Gegner gegenüber-
standen, die bisher als Künstler aufs freundlichste verkehrt und die Pro-
bleme theoretisch aufs eifrigste erörtert hatten, die sich nun auf einmal
in die Praxis umsetzten. 1 Semper, obwohl seiner Gesinnung nach durch-
aus Republikaner und demnach mit den Häuptern der radikalen Partei
eng befreundet, hatte sich doch als Staatsdiener für verpflichtet gehalten,
der praktischen Theilnahme an diesen Dingen, die überhaupt seiner ganz
von der Kunst erfüllten Natur sehr fern lag, möglichst zu entsagen. Als
aber 1849 der Mai-Aufruhr in den Strassen tobte, die Sturmglocke zu
den Waffen rief, da war es für einen tapferen Mann sehr schwer, ja un-
möglich, die bisherigen Genossen, die alle Leben und Stellung daran
setzten, zu verlassen. Die Art, wie er dann gegen seinen Willen zu
einer so hervorragenden Rolle in dem Trauerspiel kam, ist zu charak-
teristisch für sein ganzes Wesen, um sie nicht kurz zu berühren.
Der Barrikadenbau hatte in der ganzen Stadt begonnen, und die
Kompagnie der Kommunalgarde, der er angehörte, war an das Ende
der Wilsdruffer Gasse gegen die Post zu kommandirt worden, um eine
solche zu besetzen, an der man noch baute. Diess geschah aber so
schlecht und unzweckmässig, dass es die Galle des Künstlers erregte und
er im Zorn aufs Stadthaus lief, um seine dort die Vertheidigung leitenden
Freunde tüchtig abzukanzeln. Natürlich hiess es: „Mach’s besser, wenn
du’s kannst.“ „Ja, das kann ich,“ schrie der erbitterte Meister, „ich
würde mich schämen, so schlechte Arbeit zu machen,“ und rennt zurück,
um sofort die Leitung des Baues zu übernehmen, den er nunmehr so
fest ausführte, dass er selbst dem Geschützfeuer widerstand und man in
ganz Deutschland von dem uneinnehmbaren Bollwerk, freilich auch von
seinem Antheil daran, sprach. Er vertheidigte es drei Tage, bis er zur
Errichtung eines neuen, um den Rückzug zu decken, abkommandirt wurde,
um als einer der letzten die mit Blut überschwemmte Stadt zu verlassen
1 In meinen „deutschen Künstlern“ findet sich jene hochinteressante Periode aus
Semper’s Leben ausführlicher geschildert als hier möglich ist — auch sein Antheil an
dem nun Folgenden theilweise nach seinen eigenen, sehr detaillirten Angaben.
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durch von selbst eine geistige Gährung, eine mächtig gehobene Stim-
mung entstehen, die nur des kleinsten Anlasses bedurfte, um in offenen
Flammen aufzulodern. Die Revolution war in den Geistern vollständig
fertig, das Jahr 1848 kaum nöthig, um sie auf die Strasse zu verpflanzen.
Es kam und stäubte in wenigen Wochen alle auseinander, da ihr Ver-
hältniss zu diesen Dingen nach Temperament und Charakter ein gar sehr
verschiedenes war, und sich alsbald die als politische Gegner gegenüber-
standen, die bisher als Künstler aufs freundlichste verkehrt und die Pro-
bleme theoretisch aufs eifrigste erörtert hatten, die sich nun auf einmal
in die Praxis umsetzten. 1 Semper, obwohl seiner Gesinnung nach durch-
aus Republikaner und demnach mit den Häuptern der radikalen Partei
eng befreundet, hatte sich doch als Staatsdiener für verpflichtet gehalten,
der praktischen Theilnahme an diesen Dingen, die überhaupt seiner ganz
von der Kunst erfüllten Natur sehr fern lag, möglichst zu entsagen. Als
aber 1849 der Mai-Aufruhr in den Strassen tobte, die Sturmglocke zu
den Waffen rief, da war es für einen tapferen Mann sehr schwer, ja un-
möglich, die bisherigen Genossen, die alle Leben und Stellung daran
setzten, zu verlassen. Die Art, wie er dann gegen seinen Willen zu
einer so hervorragenden Rolle in dem Trauerspiel kam, ist zu charak-
teristisch für sein ganzes Wesen, um sie nicht kurz zu berühren.
Der Barrikadenbau hatte in der ganzen Stadt begonnen, und die
Kompagnie der Kommunalgarde, der er angehörte, war an das Ende
der Wilsdruffer Gasse gegen die Post zu kommandirt worden, um eine
solche zu besetzen, an der man noch baute. Diess geschah aber so
schlecht und unzweckmässig, dass es die Galle des Künstlers erregte und
er im Zorn aufs Stadthaus lief, um seine dort die Vertheidigung leitenden
Freunde tüchtig abzukanzeln. Natürlich hiess es: „Mach’s besser, wenn
du’s kannst.“ „Ja, das kann ich,“ schrie der erbitterte Meister, „ich
würde mich schämen, so schlechte Arbeit zu machen,“ und rennt zurück,
um sofort die Leitung des Baues zu übernehmen, den er nunmehr so
fest ausführte, dass er selbst dem Geschützfeuer widerstand und man in
ganz Deutschland von dem uneinnehmbaren Bollwerk, freilich auch von
seinem Antheil daran, sprach. Er vertheidigte es drei Tage, bis er zur
Errichtung eines neuen, um den Rückzug zu decken, abkommandirt wurde,
um als einer der letzten die mit Blut überschwemmte Stadt zu verlassen
1 In meinen „deutschen Künstlern“ findet sich jene hochinteressante Periode aus
Semper’s Leben ausführlicher geschildert als hier möglich ist — auch sein Antheil an
dem nun Folgenden theilweise nach seinen eigenen, sehr detaillirten Angaben.