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Anhang.
und nach den mannigfachsten Abenteuern glücklich Karlsruhe zu er-
reichen; wo der Aufruhr inzwischen auch ausgebrochen war. Es charak-
terisirt aber ganz die kühne Festigkeit des Mannes, dass er, der Vater-
land; Stellung; Zukunft; kurz alles verloren hatte; dem die Kugel gewiss
war, wenn man ihn fing, jetzt, Geld erwartend, Seelenruhe genug fand,
einstweilen nach Freiburg zu fahren, um sich den dortigen Dom einmal
recht gründlich anzusehen. Dann endlich begab er sich nach Strassburg
und Paris, um dort den Winter zuzubringen, bis er einen Ruf nach
London erhielt. Er betheiligte sich dort an verschiedenen Konkurrenzen
in einer Weise, welche die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog,
und benützte seine Musse zugleich zu einigen seiner klassischen Abhand-
lungen über kunstgewerbliche Themata, so über den Schmuck u. a. Diess
gab Veranlassung, seinen Rath für das neu zu errichtende Kensington-
Museum einzuholen, das denn auch im Wesentlichen nach seinen Rath-
schlägen organisirt und dadurch zur Musteranstalt für alle derartigen ge-
werblichen Bildungsanstalten erhoben ward, an dei’ er nun selber eine
Zeit lang als Lehrer wirkte. Es waren das alles nur Vorarbeiten zu
seiner grössten literarischen Leistung, dem epochemachenden Werk
„über den Stil in den technischen und tektonischen Künsten“, das jetzt
entstand, und als das Resultat einer unermesslichen, praktischen Erfahrung
für uns alle eine Schule geworden ist. Was Stil sei, definirt er voll-
ständig genial als „die Uebereinstimmung einer Kunsterscheimmg mit
ihrer Entstehungsgeschichte, mit allen Vorbedingungen und Umständen
ihres Werdens.“ Nur ein Künstler ersten Ranges konnte ein solches
Werk schreiben, dem wir wohl kein zweites von ähnlichem Gehalt in
unserer Kunstliteratur an die Seite zu setzen haben.
Noch ehe es aber erschien, war der Meister 1853 einem Ruf an
das neu errichtete Polytechnikum in Zürich gefolgt, zu dessen Blüthe
er nun mehr als irgend ein anderer beitrug, da ihm bald Schüler aus allen
Weltgegeuden zuströmten, die mit einer auf grenzenloser Hochachtung
begründeten Liebe an ihm hingen. Und das, obwohl er von jeher hypo-
chondrisch, überdiess tief verbittert durch die Verbannung und den Ver-
lust einer grossartigen Laufbahn sicherlich zu allem eher geeignet er-
schien, als sich bei Jung und Alt einzuschmeicheln. Ueberall das Höchste
fordernd, war er immer schwer zu befriedigen. Dennoch schätzte es
Jeder für ein Glück, unter ihm zu arbeiten, und der Same, den er als
Lehrer wie als praktischer Architekt ausgestreut, ist in vielen seiner
Schüler herrlich aufgegangen: kein Baumeister unserer Zeit hat in dieser
Beziehung so viel gewirkt. Die Jugend fühlte, trotz all’ seiner krank-
Anhang.
und nach den mannigfachsten Abenteuern glücklich Karlsruhe zu er-
reichen; wo der Aufruhr inzwischen auch ausgebrochen war. Es charak-
terisirt aber ganz die kühne Festigkeit des Mannes, dass er, der Vater-
land; Stellung; Zukunft; kurz alles verloren hatte; dem die Kugel gewiss
war, wenn man ihn fing, jetzt, Geld erwartend, Seelenruhe genug fand,
einstweilen nach Freiburg zu fahren, um sich den dortigen Dom einmal
recht gründlich anzusehen. Dann endlich begab er sich nach Strassburg
und Paris, um dort den Winter zuzubringen, bis er einen Ruf nach
London erhielt. Er betheiligte sich dort an verschiedenen Konkurrenzen
in einer Weise, welche die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog,
und benützte seine Musse zugleich zu einigen seiner klassischen Abhand-
lungen über kunstgewerbliche Themata, so über den Schmuck u. a. Diess
gab Veranlassung, seinen Rath für das neu zu errichtende Kensington-
Museum einzuholen, das denn auch im Wesentlichen nach seinen Rath-
schlägen organisirt und dadurch zur Musteranstalt für alle derartigen ge-
werblichen Bildungsanstalten erhoben ward, an dei’ er nun selber eine
Zeit lang als Lehrer wirkte. Es waren das alles nur Vorarbeiten zu
seiner grössten literarischen Leistung, dem epochemachenden Werk
„über den Stil in den technischen und tektonischen Künsten“, das jetzt
entstand, und als das Resultat einer unermesslichen, praktischen Erfahrung
für uns alle eine Schule geworden ist. Was Stil sei, definirt er voll-
ständig genial als „die Uebereinstimmung einer Kunsterscheimmg mit
ihrer Entstehungsgeschichte, mit allen Vorbedingungen und Umständen
ihres Werdens.“ Nur ein Künstler ersten Ranges konnte ein solches
Werk schreiben, dem wir wohl kein zweites von ähnlichem Gehalt in
unserer Kunstliteratur an die Seite zu setzen haben.
Noch ehe es aber erschien, war der Meister 1853 einem Ruf an
das neu errichtete Polytechnikum in Zürich gefolgt, zu dessen Blüthe
er nun mehr als irgend ein anderer beitrug, da ihm bald Schüler aus allen
Weltgegeuden zuströmten, die mit einer auf grenzenloser Hochachtung
begründeten Liebe an ihm hingen. Und das, obwohl er von jeher hypo-
chondrisch, überdiess tief verbittert durch die Verbannung und den Ver-
lust einer grossartigen Laufbahn sicherlich zu allem eher geeignet er-
schien, als sich bei Jung und Alt einzuschmeicheln. Ueberall das Höchste
fordernd, war er immer schwer zu befriedigen. Dennoch schätzte es
Jeder für ein Glück, unter ihm zu arbeiten, und der Same, den er als
Lehrer wie als praktischer Architekt ausgestreut, ist in vielen seiner
Schüler herrlich aufgegangen: kein Baumeister unserer Zeit hat in dieser
Beziehung so viel gewirkt. Die Jugend fühlte, trotz all’ seiner krank-