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Sieglin, Ernst von; Watzinger, Carl [Editor]; Schreiber, Theodor [Editor]
Expedition Ernst von Sieglin: Ausgrabungen in Alexandria (Band 2,1B): Malerei und Plastik — Leipzig, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27682#0084
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6o

FRAUENKÖPFE

noch durch einen besonderen Formenakzent betont war.“ — „Das Bildnismässigeder
Züge ist nicht mit nüchternem Realismus, mit gewissenhafter Sachlichkeit vor-
getragen, sondern mit Beschränkung auf das Wesentliche, Eindruckbestimmende
und den starken Ausdruck grosser zusammengehaltener Formen. Diese Formen
selbst sind weich und blühend gebildet, mit gefühltem Abtasten der leichten Schwel-
lungen der Oberfläche, hinter denen die inneren Lebensregungen drängen. Das ist
griechische Art, und in die griechische Kulturentwicklung Alexandrias haben wir
den Kopf zu setzen, ihn als griechisches Frauenbildnis zu werten.“ — „Die natürliche
Erscheinung ist jetzt das erste, sie macht zuvorderst ihr Recht geltend, das Indivi-
duelle wird mit Betonung herausgearbeitet und nur gemildert durch das grosse
Formensehen, das noch als Ausstrahlung alter Überlieferung sein Recht geltend
macht. Es war inzwischen der Naturalismus der hellenistischen Epoche herein-
gebrochen und zur Herrschaft gelangt.“ — „In diese Entwicklung, in die hellenistische
Epoche Alexandrias, ist also der Dresdener Marmorkopf einzustellen, und zwar wird
man nach dem allgemeinen Eindruck geneigt sein, ihn dem Schluss dieser Periode zu
nähern.“ Diese Beurteilung des Kopfes durch Herrmann scheint mir zutreffend; es
gilt nun, sie im einzelnen noch zu sichern und eine genauere Ansetzung des Kopfes
am Ende der hellenistischen Entwicklung zu suchen.

Vergleichen wir Frauenköpfe der frühen Kaiserzeit, denn nur deren strenge,
ausgeglichene Formgebung könnte an den Sieglinschen Kopf erinnern, so zeigen
sie alle eine abweichende Frisur. Mag einst das in Stuck ergänzte Haar glatt oder
in gewellten Strähnen die Stirn umrahmt haben, nirgends ist es so schlicht und
ruhig angeordnet, nirgends lässt es die Stirn so frei und hoch erscheinen. Bei den
römischen Köpfen wird immer durch ein Motiv der Haartracht die Stirnfläche ein-
geschränkt und in möglichst horizontaler Linie durch das Haar abgeschlossen. Auch
kommen die gedrehten Doppellöckchen an den Schläfen, die auf ältere griechische
Tradition zurückgehen, in der frühen Kaiserzeit, soweit ich sehe, nicht so vor. Anderer-
seits gestatten die Formen des Untergesichts den Anschluss an die oben in die
Zeit bald nach der Mitte des 2. Jahrhunderts datierten Köpfe, die mit dem Frauen-
kopf vom Altar in Magnesia verglichen wurden. Das selbständig ausgebildete
runde Kinn mit dem kleinen Grübchen unten und die bewegte Modellierung der
Mundpartie finden dort ihre Anknüpfung; nur sind die Falten etwas schärfer, die
Wangen etwas magerer und knapper, an die Stelle der jugendlichen Fülle der Köpfe
dort ist eine höherem Alter eigene Schärfe der einzelnen Formen getreten. Diese
Alterszüge passen zu der stärker individuellen Charakteristik, die das griechische
Frauenporträt bis in den Hellenismus hinein verschmäht hat. Dass sie ihm aber
 
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