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Stuttgarter Mitteilungen über Kunst und Gewerbe — 1904-1905

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Schäfer, E.: Über die Eigenart des Holzschnitts
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https://doi.org/10.11588/diglit.6370#0096
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Edm. Schiefer, Stuttgart, Holzschnitt. Schwarzer Druck vom Originalholzstock, Farbplatten zinkotypisch

angefertigt von A. Schuler in Stuttgart.

ÜBER DIE EIGENART DES HOLZSCHNITTS.

ml es ährend beim Kupferstich und bei der Radierung die für den

JÜ ±:«fi£ ra? Abdruck bestimmten Linien eingegraben werden, müssen sie beim
Htl ^HmT J^f Holzschnitt stehen gelassen werden und erscheinen im Holzstock
Mawxrlvt durch das Wegschneiden der weißen Stellen erhöht. Das
\mw erstere gibt Tiefdruck, während das letztere Hochdruck gibt.

™» ^>Mg I Beim Kupferstich und der Radierung kommt das, was ich auf
die Platten schneide, oder zeichne und ätze, schwarz, beim Holzschnitt dagegen
weiß, und gerade das ist es nun, was dem Holzschnitt seinen bestimmten
Stempel gibt, und was seine ganz bestimmte Eigenart gegenüber den
anderen Techniken ausmacht. Wenn man also zu einem später zu schnei-
denden Holzschnitt eine Zeichnung machen wollte, müßte man eigentlich, um
dem Material gerecht zu werden, auf schwarzem Grund mit Feder oder Pinsel
weiß zeichnen. In derselben "Weise arbeitet man nämlich später mit dem
Stichel oder Schneidemesser, mit welchem man das Holz herausnimmt und
dadurch weiße Linien und Flächen erzeugt.

Die primitiven Holzschnitte des 15. Jahrhunderts sind nun ganz in diesem
Sinne gearbeitet. Künstler und Schneider waren, was sehr wichtig ist, eine
Person. Das Material war Langholz und Schneidemesser. Die Farbe wurde
mittelst ..Tampon" aufgetragen, das angefeuchtete Papier darauf gelegt und
mit Falzbein und Handballen gerieben und gepreßt. Das ist das primitive
Druckverfahren der ersten Anfänge der Holzschneidekunst, bei welchem aber
der Drucker die Farbe nach Belieben auftragen konnte.

Wenn man sich einen der frühbekannten Holzschnitte anschaut, etwa den,
der den heiligen Vitus darstellt, der mit gespreizten Beinen und lang wallendem
Mantel auf einer blumigen Wiese steht, hat man doch diesem Blatte gegenüber
den unmittelbaren Eindruck eines Holzschnittes. Man sieht, daß das Weiße
dasjenige ist, was herausgeschnitten worden und daß so das Weiße der Linien-
führung die originelle Ursprünglichkeit, den eigentlichen Holzschnittcharakter

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