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Stuttgarter Mitteilungen über Kunst und Gewerbe — 1904-1905

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Felger, Friedrich: Dr. Daniel Greiner in Darmstadt und Paul Lang in Krefeld: Zur Ausstellung des Kunstgewerbevereins Stuttgart
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https://doi.org/10.11588/diglit.6370#0230
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Dr. Daniel Greiner in Traisa bei Darmstadt, Ori^inalholzschnitt »Kommende Nacht« aus
»An die Nacht«, Ori£inalholzschnittfolt*e.

Dr. Daniel Greiner in Darmstadt und Paul Lang in Krefeld.

Zur Ausstellung des Kunstgewerbevereins Stuttgart.

Von Friedr. Felger in Waiblingen.

Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß die kritische
Seite etwas Wesentliches an dem Menschen unserer
Zeit geworden ist. "Wir wuchsen in der Kritik auf,
kritisieren, werden kritisiert. Und wenn dereinst schon
längst über uns Gras gewachsen ist, wird die Kritik
noch edlere Blüten hervorbringen als heutzutage.

Wir haben schon lange den Schimmer des Naiven ab-
gestreift, haben überhaupt dies verlorene Glück fast
ganz vergessen. Bisweilen nur sehnen wir uns über
die Kritik hinaus, nach Vollendetem, Mächtigem, Ueber-
mächtigem. Nach stiller Größe, die uns unkritisch macht
und uns die Narkose der momentanen Naivität bietet.

Gleichzeitig haben wir im Kampf ums Dasein in der
tausendgestaltigen Neuzeit die elementare Gewalt der
Anschauung verloren, die uns in unserer Jugend so
glücklich machte. Damals war die stille, ernste, große
Natur unsere alleinige Kunst, unser Bilderbuch. Und
diese Eindrücke waren wunderbar und gewaltig. Jetzt
aber wandeln wir durchs Hügelland der kritischen Zeit
und sehen die naiven Kunstgenüsse der ersten Er-
innerung durch die Jahre hin wirken wie schweigende,
rosenrote Alpenriesen. Wir sind modern geworden,
d. h. kleiner in unserem Empfinden, seitdem wir uns damals von der Natur abge-
wandt haben und in die hundertfältigen Stromläufe des Konventionellen eingemündet
sind. Alle haben hier an innerer Anschauungskraft verloren. Die, welche sich das
mystische Neuland ihrer frühesten Bilderwelt wieder zu entdecken und auf ihm ihre
eigene, subjektive Welt sich aufzubauen vermögen, die sind die wahren, starken
Künstlerseelen.

Die andern lernen aber nie mit eigenen Augen sehen. Der Natur gegenüber werden
sie immer unselbständiger, weil diese sich in ihrer lapidaren Größe ihnen immer mehr
entfernt. Mit dem Sinken ihrer seelischen Anschauungskraft stieg aber ihre Sensi-
bilität gegenüber den Unklarheiten künstlerischer Wesensverwandter. Die Blinden
der Natur bekamen den modern nervösen Zug, das feine, überfeine Gefühl, das sie
Fehlendes doppelt schmerzlich empfinden ließ. Sie stehen alle unter dem Zeichen
der Sehnsucht nach der werdenden Größe, nach den großkünstlerischen Zukünften.
Sie wurden Virtuosen der Tageskritik, die überall instinktiv Unwahrheit ahnten, Ex-
perimente herausfühlten und empfindlich die Ruhe einer Klassizität vermißten.

Dr. Daniel Greiner in Traisa hei Darmstadt
Ex libris.

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