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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0180
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ihm fremd. Er betrauert den Niedergang der Scholastik auf
der Pariser Hochschule, deren Strahlen früher nach allen Weit-
enden ihr Licht sandten. Petrarcas Persönlichkeit macht auf
ihn so geringen Eindruck, daß er seine Briefe unbeantwortet
läßt. Er entschuldigt sich, weil er in seiner Bibliothek „die
Dichter nicht ganz unberücksichtigt gelassen." Er besitzt einen
Virgil, den er dem Abte von St. Alban abgekauft, aber er
berauscht sich nicht wie Petrarca am Klang und Rhythmus der
Verse, die Stimme der Dichtkunst hört er nicht. Er verteidigt
das Studium der Dichter „gegen die Anhänger der nackten
Wahrheit," nur weil ihre Fabeln eine Moral bergen, weil selbst
anstößige Stellen Vorbilder für den Stil sein können, und vor
allem, weil die Schriften der Kirchenväter oft auf Gedichte
anspielen und ganze Stellen unverständlich bleiben, wenn wir
die Citate nicht kennen. Er liest die Klassiker, aber nur, um
Hieronymus, Augustinus und Lactantius zu verstehen. Aristo-
teles ist für ihn, wie für alle Scholastiker, der Erzphilosoph,
der Apollo der Weltweisen. Seine Verehrung für die Alten
hat mit der Geistesströmung, welche das Erwachen der antiken
Welt hervorzauberte, nichts gemein. „Ich gab mich der Er-
forschung des Altertums hin", sagt Petrarca, „weil mir die
Zeit, in der ich lebte, so mißfiel, daß ich darnach strebte, mich
so oft wie möglich in andere Zeiten zu versetzen." Diese Sehn-
sucht nach einer vergangenen, freien, schöneren Welt hat de
Bury nie gekannt. Ihm war es bei dem Studium der Alten nur
um das Verstehen der Kirchenväter zu thun, „zur Verteidigung
der rechtgläubigen Lehre."
Obgleich de Bury überzeugt war, daß die Liebe zu den Bü-
chern bei einem Geistlichen naturgemäß und ein Zeichen reiner
Sitten ist, so scheint ihn doch manchmal das Bewußtsein be-
unruhigt zu haben, daß seine Bibliomanie eine menschliche
Schwäche sei. „Es ist den Sterblichen kaum gegeben," klagt
er, „irgend etwas zu thun, an dem nicht der Staub der
Eitelkeit klebe, und so wagen wir nicht, unsere große Liebe zu
den Büchern gänzlich zu rechtfertigen; sie mag uns manchmal
zu Nachlässigkeiten verleitet haben, obgleich der Gegenstand
ehrenhaft und unsere Absicht redlich war." Um diesen Ge-
wissensbissen zu entgehen, faßte er schon frühzeitig einen
Entschluß, der seiner Sammelwut einen idealen Zweck unter-
legte und ihm einen Vorwand, ja sogar eine Veranlassung gab,
sich zu Ehren Gottes ganz seiner Leidenschaft hinzugeben. Er
beschloß, seine Bibliothek der Universität Oxford zu ver-
machen. „Wir haben untersucht, welche von den Pflichten, die
uns die Frömmigkeit auferlegt, dem Höchsten am meisten ge-
fallen und der Kirche am besten nützen würde. Da stieg vor un-
serem geistigen Auge die Heerde der unglücklichen Scholaren
auf.und wir beschlossen, nicht nur für ihren
Unterhalt, sondern noch vielmehr für die zum Studium
 
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