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Springer, Anton
Geschichte Österreichs seit dem Wiener Frieden 1809: in zwei Theilen (Band 1): Der Verfall des alten Reiches — Leipzig, 1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.29905#0286
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III. 2. Der L>ieg über den Liberalismus.

zu eröffnen, das erstarrte Leben in Fluß zn bringen. Es konnte entschul-
digt werden, wenn während der Zeiten des Kampfes nur für die Bedürf-
nisse des Augenblickes Sorge getragen, die wirthschaftliche Thätigkeit ver-
schoben wurde. Desto eifriger hätte sich jetzt die Aufmerksamkeit derselben
zuwenden müssen. Man braucht aber nur die Zeitungen während eines
Zeitraumes von zwanzig Jahren durchzublättern, um sich von der unüber-
windlichen Trägheit der Regierung zu überzeugen. Hofnachrichten und
Börsennotizen find das Einzige, was sie aus Oesterreich zu berichten wissen.
Es hat nicht die Strenge der Censur diese Schweigsamkeit verschuldet.
Sie hätte nicht gehindert, von der Ablösung der bäuerlichen Lasten, von
der Aufhebung der Unterthänigkeit, von der Reform im Steuerwesen, von
den Anstalten zur Hebung der Landwirthschaft und der Jndustrie zu er-
zählen, wenn nur ein Erzahlungsstoff vorhanden gewesen wäre. Aber
die Männer, welche an der Spitze des Staates standen, regierten nicht,
verwalteten nicht, verstanden es nicht einmal, die Steuern auf die rechte
Art einzuziehen. Daß sie die bereits vorhandenen staatlichen Einrichtun-
gen nicht gewaltsam zerstörten, den mechanischen Gang der Verwaltung
mcht plötzlich hemmten, war das einzige Verdienst, welches sie sich
erwarben. Alles blieb in dem alten Zustande, wie er sich unsertig und
widersprnchsvoll theils vor den Kriegen, theils während derselben aus-
gebildet hatte, mit allen Ansätzen zu Neuerungen aus den Zeiten Kaiser
Josephs, mit allen Zögerungen, welche die solgende Reactionsperiode ge-
boten hatte. Das alte Reich war thatsächlich aus den Fugen gegangen,
man ließ es verrenkt und bemühte sich ebensowenig, die alten politischen
Formen vollständig wieder zu beleben, als neue gründlich zu schaffen. Eine
ebenso große Schuld, als die österreichischen Staatsmänner durch ihre
Unthätigkeit in atlen Zweigen der Verwaltung tragen, trisft sie sür die
einzig bemerkenswerthe Thätigkeit, welche sie während eines Menschen-
alters auf diplomatischem Gebiete entwickelten. Deutsche Schriftsteller,
welche mit der religiösen Bildung der Zeit zerfallen, keine Kraft be-
saßen, aus dem Zwiespalte durch selbständiges Denken sich zur Klarheit
herauszuarbeiten, welchen die Politischen Stürme die Phantasie aufgeregt
hatten, so daß sie, was warmes Leben athmete, für ein Gespenst hiel-
Len, was todt und begraben war, noch zu dem Lebenden rechneten,
rühmten sich der österreichischen Bundesgenossenschaft. Nach ihrer An-
sicht leiteten die österreichische Politik stets allgemeine Grundsätze, über-
Lrugen Kaiser Franz und Metternich mit Bewußtsein die Theorien der
romantischen Staatsphilosophie in die Wirklichkeit und liebten es Beide,
ihre Handlungen nach strengen Mapimen zu regeln. Es hat aber mit
diesen Mapimen dasselbe Bewenden wie mit dem sogenannten Shsteme
des Kaisers, welches von seiner Umgebung als Richtschnur in der in-
neren Verwaltung empsohlen und in den unteren wohlmeinenden Be-
amtenkreisen als das Hinderniß jeder administrativen Reform beklagt
 
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