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Springer, Anton
Geschichte Österreichs seit dem Wiener Frieden 1809: in zwei Theilen (Band 1): Der Verfall des alten Reiches — Leipzig, 1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.29905#0405
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3. Die letzten LeLensjahre des Kaiser Franz

Die Thätigkeit des Wiener Cabinets während des türkisch-russischen
Streites stieß auf einen allgemeinen, bitteren Tadel, selbst bei jenen,
welche den Grundgedanken der österreichischen Politik, die Furcht vor
russischen Uebergrisien billigten. Die letzteren hatten vor Allem das Recht,
über die kunstreiche Weise, mit welcher das Ziel der Politik geradezu ver-
kehrt wurde, Beschwerde zu führen. Darin stimmten aber Alle überein,
daß der Kampf zwischen Rußland und der Pforte nicht allein Oesterreichs
Grenzen, sondern auch dessen wichtigste Jnteresien berühre, sein Ausgang
auf das Schicksal des Kaiserstaates einen tiefen Einfluß zu üben bestimmt
sei. Die österreichbschen Völker allein schieuen diese Meinung nicht zu
theilen und ließen sich durch die Vvrgänge aus dem Kriegsschauplatze aus
ihrcr Gleichgiltigkeit nicht aufrütteln; kaum daß man eine höher gespannte
Neugierde bei ihnen bemerkte. Nur die Börse und die Staatskanzlei
zeigten eine gesteigerte Theilnahme; die große Masse des Volkes beharrte
bei ihren ruhigen Gewohnheiten, und namentlich die „gemüthlichen" Wiener
setzten unbekümmert um alle Haupt- und Staatsactioneu ihr altes heiteres
Leben fort. Zum Theil wird diese auffallende Erscheinung aus der eigen-
thümlichen Richtung des österreichischen Volksgeistes erklärt. Wenn von
den Deutschen behauptet wird, daß sie echte und wahre Leidenschaftlichkeit
nur dann entwickeln, wenn es sich um religiöse Fragen handelt, so gilt
von den Oesterreichern in noch höherem Grade der Satz, daß sie poli-
tische Jnteressen erst fühlen, weun das nationale Bewußtsein mit in das
Spiel kommt. Für das nationale Bewußtsein der österreichischen Völker
bot die orientalische Frage damals uoch keine Anregungen, trotz der
dumpfen Spmpathien, die sich unter den Anhängern der griechischen Kirche
für den Sieg der russischen Waffen zeigten. Aber noch andere, schlimmere
 
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