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Springer, Anton
Geschichte Österreichs seit dem Wiener Frieden 1809: in zwei Theilen (Band 1): Der Verfall des alten Reiches — Leipzig, 1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.29905#0406
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IV. 3. Die letzten Lebensjahre des Kaiser Franz.

Gründe bedingtm die Ausfassung der orientalischen Frage als eine reine
Cabinetsangelegenheit. Das „unpolitische Dasein" des Volkes, in den
Augen der Regierung sein Normalzustand, erreichte gerade in jenen Tagen
seiue höchste Blüthe. Es war die Zeit, wo sogar Gentz seinen FreunV
Adam Müller verhöhnen durfte, daß dieser den Enthusiasmus für das
liebe Oesterreich so weit treibe, sich nach dessen Literaturerzeugnissen zu
sehnen. Die Generation, welche noch in der nicht immer klaren, abcr
doch geistig lebendigen Ausklärung des vorigen Jahrhunderts wurzelte.
war in der ZwischenzeiL von dem verkommenen Bankozettelgeschlechte ab-
gelöst worden, das uach so vielen Entbehrungen und Kümmernissen sich
mit verdoppeltem Behagen in den Freuden des privaten Lebeus ergiug,
nur sür den ruhigen Genuß materieller Güter schwärmte und die Ver-
waltung der öffentlichen Jnteressen willig dem Kaiser und seinen Räthen
überließ, dankbur, daß dieselben das Ruhebedürsniß der Bevölkerung so
eisrig zur Richtschnur ihrer Thätigkeit nahmen. Die Uebereinstimmung
mit dem flachen Residenzgeiste verlieh der Politik Metternichs eine gewisse
Berechtigung und erwarb dem Kaiser Franz die Popularität, die er
wenigstens in Wien und den deutschen Provinzen unbestritten genoß.
Jhren glänzendsten AuSdruck gewann dieselbe wahrend der schweren Krank-
heit des Kaisers im Frühlinge 1826. Nicht die Börse allein, auch weitere
Volkskreise erschraken über die möglichen Folgen seines Todes nnd freuten
sich ausrichtig, als Staudenheimers Kunst den Fürsten dem Leben wiedergab
und gut machte, was des Leibarztes Stifft Unwissenheit beinahe unwider-
ruslich verdorben hätte. Am 6. April hielt Kaiser Franz unter dem
jubelnden Zurufe der Wiener wieder seine erste Ausfahrt, nach wenigen
Wochen schien Alles bereits wieder in die alten Geleise zurückgekehrt.
Ausmerksamen Beobachteru entgingen jedoch die Verändernngen nichfl
welche sich seitdem am Hofe und in den Regierungskreisen zeigten. Die
Krankheit zeitigte den Eintritt des Kaisers in das Greisenalter, seine
Gestalt verfiel, sein Gesicht wurde welker und trockeu, sein Auftreten
weckte mehr Mitleiden als Ehrsurcht. Aengstlich vermied er alle Auf-
regungen, sorgfältig wies er zurück, was den hergebrachteu bequemen Ge-
wohnheiten widersprach, und steigerte noch die Neigung zu einem ruhigen^
einsörmigen Leben. Zum Verzweifeln langweilig sanden die Diplomaten*)
jetzt den Aufenthalt am Wiener Hofe. Jn die Lebensweise des Kaisers
brachten nur Reisen, die aber gleichsalls seltener wurden, einige Abwechselung.
Jn der Wiener Hofburg nnd im Landhause zu Baden glich jeder Tag
dem anderen, ja jede Stunde hatte im Sommer wie im Winter ihre feste
Bestimmung, von welcher niemals abgewichen wurde. Es gab keine glän-

*) Vgl. die ErinnerungSblattcr auS den Papieren eines Dip'omaten (F. Freiherru
von Andlaw) 1857, die unentbehrlich sind, um die trostlose Nichtigkeit unserer Duodez-
diplomatie kennen zu lernen.
 
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