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Springer, Anton
Geschichte Österreichs seit dem Wiener Frieden 1809: in zwei Theilen (Band 1): Der Verfall des alten Reiches — Leipzig, 1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.29905#0404
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IV. 2. Die orientalische Frage.

war, daß ihn Minister als Heuchler und Könige als Wühler bezeichneten,
und ihn, den treuen Wächter des Bestehenden, von anderen Höfen die
Anschuldigung traf, daß er den jnngen Herzog von Reichsstadt als Schreck-
bild bald gegen Frankreich, bald gegen Rußland verwcnde und in Galizien
die polnische Nationalität absichtlich begünstige. Schwerer wog in der
Wagschale der sichtliche Verfall der österreichischen Macht, die geringe
Beachtung der Rathschläge, die aus dem Wiener Cabinet kamen, bei den
Herren der Erde, um so schwerer, als Fürst Metternich von den Congreß-
zeiten her gewohnt war, sich sür den eigentlichen Schiedsrichter Europa's,
sein Cabinet für den Mittelpunkt der politischen Welt zu achten. Seine
Eitelkeit half ihm in späteren Jahren über diese Demüthigung hinaus,
er nahm dann Duldung für Rücksichten, Complimente für wirkliche An-
erkennung und Geschästigkeit für Thaten. Mochte er aber auch für seine
Person sich wieder allmälich die Dinge und Verhältnisse anf das Beste
zurechtlegen, daran änderte sich nichts, daß Oesterreich dnrch die in der
orientalischen Frage besolgte Politik an Einfluß in Enropa verlor, ganz
abgesehen davon, daß für ein künstiges Eingreifen in das Schicksal der
Türkei unübersteigbare Schwierigkeiten geschafsen wurden. Oesterreich ging
aus dem Streite der Mächte vollständig isolirt hervor. Die englischen
Staatsmänner gewannen in jenen Jahren die rechte Schätzung der öster-
reichischen Macht und lernten seitdem, bei ihren Entwürfen weder die
Zustimmung noch den Widerspruch des Wiener Cabinets sonderlich zu
beachten. Rußland aber, dem sich Oesterreich nothgedrungen doch wiedcr
anschloß, hatte die Schwäche und die Furchtsamkeit der Wiener Staats-
männer viel zu deutlich erkannt, um nicht die Unterordnung derselben
unter den Willen des Czaren als Preis des erneuerten Bündnisses zn
fordern. Es gewann dieselbe auch, und das nächste JahrzehnUerblickte das
Petersburger Cabinet in jener „erhabenen" Stellnng, welche bis zum
Ausbruche des russisch-türkischen Streites der Staatskanzler sür sich und
seinen Kaiser in Anspruch genommen und theilweise auch erreicht hatte.
Das waren die Früchte der gegen die russischen Uebergrisfe gerichteten
Politik des Fürsten Metternich.
 
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