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IV. 2. Die orientalische Frage.
Als die Bedingrmgen des Friedens von Adrianopel in weiteren
Kreisen bekannt wurden, erregten sie vielfach für die Zukunft der Türkei
ernste Besorgnisse, und schienen die Unabhängigkeit derselben zu vernichten.
Aber auch Oesterreich hatte alle Nrsache, über einzelne Friedensartikel zu
klagen nnd weiteren Einbußen an Macht entgegenznsehen. Die Russen
an der Donau gefährdeten Oesterreich viel mehr als die hier ohnehin
nur dem Namen nach herrschende Pforte und ließen das Wiener Cabinet
für die Sicherheit einer weiten Grenzlinie fürchten, welche bisher ohne
allen Schaden von Vertheidigungsmitteln entblößt werden durfte.
Der profanen Welt gegenüber ließ man freilich von der Angst und
Verstimmung nichts merken. Der österreichische Beobachter*) benntzte die
Gelegenheit des Friedensabschlusses, nm die Furchtsamen zu beruhigen
und den unverbesserlichen Revolutionären eine Strafpredigt zu halten:
„Von mehr als einer Seite erhob sich die Besorgniß, daß der russisch-
türkische Krieg der Anfang einer allgemeinen Erschütterung werden könnte.
Aber die im Schooße eiuer großartigen Politik friiher gestifteten Bande
hatten uoch Kraft genug, um jede finstere Prophezeiung zu vereiteln **);
und auch dieser Krieg ist vorüber gegangen, ohne die friedliche Stellung
der christlichen Staaten unter einander zu verletzen oder ernstlich zn be-
drohen. Noch stehen die Grundpfeiler des Shstems, welches mit der
inneren Restauration Frankreichs begann, fest, und das Gebäude kann
noch manchen Plan überleben, dem seine Trümmern zur Grundlage dienen
sollten. — Die, welche die Erhaltung der öfientlichen Ruhe, das unge-
störte Gedeihen aller Geschäfte und Künste des Friedens als die höchsten
gesellschaftlichen Güter verehren, die Regierungen, die ihr wahres Jn-
teresse nicht verkennen, die große Masse der Völker, die nur von Ordnung
und Gerechtigkeit lebt — diese alle vernahmen die Friedenskunde mit
ungeheuchelter Freude. Ganz anders wirkte sie auf jene, die in dem
Kampfe zwischen den Mächten die günstigste Gelegenheit, ihre ehrgeizigen
Wünsche und hochfliegenden Pläue gelteud zu macheu, sahen. Die An-
hänger dieser Partei, die ihren Hanptsitz in Frankreich, ihre Geistes-
verwandten in ganz Europa hat, haben Alles aufgeboten, um die Ver-
wicklungen im Oriente zn verlängern. Sie haben bald unter dem Vor-
wande, die Civilisation zu fördern, bgld als unverstellte Lobredner des
Eroberungsshstems, mit lockenden Zauberformeln von Nationalehre und
natürlichen Greuzen bewaffnet, Projecte geschmiedet, die nichts Ge-
ringeres als die Auflösnng aller bestehenden Verträge zum Gegenstande
hatten." Der Artikel schloß mit der Behauptung, daß nur die „nach
Verwirrung und Umsturz dürstende Faetion^ Oesterreich lästere und anklage^
*) Oesterr. Bcobachter vom 23. October 1829. Auch abgedruckt in dcr A. A. Z.
1829. S. 1204 und in Gcntz' Schriften V. S. 167.
**) Gentz vergaß, daß diese finüeren Prophezeiungen vorzugsweise von Wierr
ausgingen.
IV. 2. Die orientalische Frage.
Als die Bedingrmgen des Friedens von Adrianopel in weiteren
Kreisen bekannt wurden, erregten sie vielfach für die Zukunft der Türkei
ernste Besorgnisse, und schienen die Unabhängigkeit derselben zu vernichten.
Aber auch Oesterreich hatte alle Nrsache, über einzelne Friedensartikel zu
klagen nnd weiteren Einbußen an Macht entgegenznsehen. Die Russen
an der Donau gefährdeten Oesterreich viel mehr als die hier ohnehin
nur dem Namen nach herrschende Pforte und ließen das Wiener Cabinet
für die Sicherheit einer weiten Grenzlinie fürchten, welche bisher ohne
allen Schaden von Vertheidigungsmitteln entblößt werden durfte.
Der profanen Welt gegenüber ließ man freilich von der Angst und
Verstimmung nichts merken. Der österreichische Beobachter*) benntzte die
Gelegenheit des Friedensabschlusses, nm die Furchtsamen zu beruhigen
und den unverbesserlichen Revolutionären eine Strafpredigt zu halten:
„Von mehr als einer Seite erhob sich die Besorgniß, daß der russisch-
türkische Krieg der Anfang einer allgemeinen Erschütterung werden könnte.
Aber die im Schooße eiuer großartigen Politik friiher gestifteten Bande
hatten uoch Kraft genug, um jede finstere Prophezeiung zu vereiteln **);
und auch dieser Krieg ist vorüber gegangen, ohne die friedliche Stellung
der christlichen Staaten unter einander zu verletzen oder ernstlich zn be-
drohen. Noch stehen die Grundpfeiler des Shstems, welches mit der
inneren Restauration Frankreichs begann, fest, und das Gebäude kann
noch manchen Plan überleben, dem seine Trümmern zur Grundlage dienen
sollten. — Die, welche die Erhaltung der öfientlichen Ruhe, das unge-
störte Gedeihen aller Geschäfte und Künste des Friedens als die höchsten
gesellschaftlichen Güter verehren, die Regierungen, die ihr wahres Jn-
teresse nicht verkennen, die große Masse der Völker, die nur von Ordnung
und Gerechtigkeit lebt — diese alle vernahmen die Friedenskunde mit
ungeheuchelter Freude. Ganz anders wirkte sie auf jene, die in dem
Kampfe zwischen den Mächten die günstigste Gelegenheit, ihre ehrgeizigen
Wünsche und hochfliegenden Pläue gelteud zu macheu, sahen. Die An-
hänger dieser Partei, die ihren Hanptsitz in Frankreich, ihre Geistes-
verwandten in ganz Europa hat, haben Alles aufgeboten, um die Ver-
wicklungen im Oriente zn verlängern. Sie haben bald unter dem Vor-
wande, die Civilisation zu fördern, bgld als unverstellte Lobredner des
Eroberungsshstems, mit lockenden Zauberformeln von Nationalehre und
natürlichen Greuzen bewaffnet, Projecte geschmiedet, die nichts Ge-
ringeres als die Auflösnng aller bestehenden Verträge zum Gegenstande
hatten." Der Artikel schloß mit der Behauptung, daß nur die „nach
Verwirrung und Umsturz dürstende Faetion^ Oesterreich lästere und anklage^
*) Oesterr. Bcobachter vom 23. October 1829. Auch abgedruckt in dcr A. A. Z.
1829. S. 1204 und in Gcntz' Schriften V. S. 167.
**) Gentz vergaß, daß diese finüeren Prophezeiungen vorzugsweise von Wierr
ausgingen.