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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0035
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3. Carstens und Thorwaldsen.

15

Selbsterlernens waren die jungen Künstler angewiesen,
die der neuen Richtung huldigten. Auf viele Vorteile
des geregelten Unterrichts, der lebendigen Überlieferung
mußten sie verzichten und der Hoffnung entsagen, den
Beifall weiter Kreise zu gewinnen. Denn was den
Schöpfungen der Knnst den lockendsten Reiz verleiht, das
rauschende Leben, der glänzende, farbige Schein, das
konnten sie aus vielfachen Gründen ihren Werken nicht
einverleiben. Die Herrschaft über die technische Seite,
das sogenannte Handwerk in der Kunst, hätten sie nur
durch das Beharren im feindlichen Lager erwerben können.
Erfüllt von der einfachen Größe und der poetischen
Schönheit der Griechenwelt, legten sie aber überhaupt
wenig Wert auf die virtuose Durchführung und farben-
reiche Einkleidung ihrer Entwürfe. Sie wollten mit den
Dichtern wetteifern, betonten die Poetische Schönheit stärker
als die malerische und scheuten sich, die Empfindung, von
der sie beseelt waren, durch äußeren Formenglanz zu
drücken oder wohl gar zu verwischen.
Am schärfsten Prägt sich dieses Streben in Asmus
Jacob Carstens aus, der (in der Sankt-Jürgener Mühle
bei Schleswig) 1754 geboren war und bereits 1798 in
Rom starb (Abb. 17). Noch um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts als der Reformator und
Wiederhersteller deutscher Kunst gefeiert, ward er bald darauf, wie die ganze klassizistische Gruppe,
wegen der mangelhaften technischen Ausbildung gering geschätzt. Man hat Carstens dabei oft un-
gerecht behandelt. Der Rückgang auf klassische Muster war durch die europäische Kulturströmung
bedingt. Der merkwürdig enge Anschluß an die literarische Bewegung, die mit Vorliebe aus der
Poesie geschöpften Anregungen erklären sich gleichfalls von selbst. Die literarische Bildung
barg das beste Stück unseres Lebens und unserer Kraft in sich. Hier vergaßen die Deutschen
die politische Zersplitterung und erinnerten sich der nationalen Einheit. Dürftig war der äußere
Schmuck unseres Lebens. Der dreißigjährige Krieg hatte unsern Wohlstand gebrochen, unsere
schöpferische Begabung lahm gelegt. Langsam arbeiteten wir uns aus tiefster Verarmung
wieder empor. Ehe wir noch diese Schäden heilen konnten, waren wir auf die Sammlungen
idealer Schätze angewiesen. Unsere Gedanken und unsere Empfindungen wurden unsere Lebens-
freude, die Poesie und Literatur unser Lebensreichtum. Die Flucht aus der Wirklichkeit voll-
zogen unsere Dichter und Künstler nicht aus willkürlichem Eigensinn, sie folgten einem Gebot
der Notwendigkeit, ebenso wie unsere gebildeten Mittelklassen in der Begeisterung für eine
ideale Welt den besten Schutz gegen die nationale Versumpfung fanden. Die Poesie errang
natürlich großartigere Siege als die bildenden Künste. Wir werden keinen Maler der klassischen
Zeit mit Goethe oder Schiller vergleichen. Die Poesie blieb auf ihrem Boden, während die
Malerei in ihrem Wetteifer mit der Dichtkunst auf manche Vorteile des Faches verzichten mußte.
Zweiundzwanzig Jahre alt zog Carstens nach Kopenhagen. Aber hier lockte ihn weniger
die Akademie, an der namentlich Nicolas Abraham Abildgaard (1743 —1809) erfolg-
reich wirkte, als die Sammlung der Gipsabgüsse nach antiken Skulpturen, deren Formen er
so genau dem Gedächtnis einprägte, daß er sie auswendig zeichnen konnte. 1783 wollte er
in Italien sein Glück versuchen. Ungenügende Geldmittel zwangen ihn aber, als er in Mantua


17. A. I. Carstens, Selbstbildnis.
Pastell. Hamburg, Kunsthalle.
(Nach Kutschmann, Geschichte der deutschen
Illustration)
 
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