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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0182
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156

Dritter Abschnitt: 1850—1870.

d'Avray mit seinen stillen Seen; im Walde von Fontainebleau, den die französische Kunst schon
vor Jahrhunderten geweiht hatte, gab es Gelegenheit übergenug, der Natur ins Auge zu
schauen und aus ihrem ewigen Quell zu schöpfen. Wann der erste Pariser Maler nach Bar-
bizon ausgewandert ist, hat sich noch nicht mit Bestimmtheit feststellen lassen. Sicher ist nur,
daß seit dem Jahre 1830 Rousseau, Corot, Diaz und ihre Freunde sich hier zum Sommer-
studium niederließen, und daß von diesem Zeitpunkt an die Wallfahrten der Künstler nach dem
kleinen Neste am Rande des Fontainebleauer Waldreviers einen größeren Umfang annahmen.
Wenn den deutsch-römischen Nazarenern das ehemalige Refektorium des Klosters von San
Jsidoro als Ort der Zusammenkunft gedient hatte, so war hier die Scheune der Ortsherberge

163. Waldlandschaft, von N. V. Diaz.


der Schauplatz der abendlichen Konvivien. So hatte sich der Stil der Zeit geändert. Das
Atelier aber war — der Wald, in dem die Freunde sich tagsüber verteilten, um in welt-
entrückter Einsamkeit, in ungestörtem, innigstem Verkehr mit der Natur zu arbeiten. Dabei kam
es nicht darauf an, irgend ein Stück Landschaft gewissenhaft zu porträtieren, sondern sich mit
ihrem Geist, ihrem Stimmungsgehalt zu erfüllen, ihr innerstes Wesen in sich zu saugen, um
ihr Bild aus der Seele des Künstlers neu zu schaffen, alle lyrische Erregtheit in der subjek-
tiven Wiedergabe des Erschauten zu entladen. So kommt es, daß diese Meister bei aller Gleich-
heit ihrer Gesinnung der Natur gegenüber und aller Ähnlichkeit des Empfindens in ihren
Bildern doch so sehr verschieden wirken, daß ihre persönliche Handschrift sich jedem einprägt,
wenn sie auch gelegentlich, wie die Pariser Centennale von 1900 mit ihren Ausgrabungen unbe-
kannter Werke bewies, die Rollen tauschten.
 
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