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Rudolf Staehlin
gekommen und in dem Nachbarhause eingekehrt zu sein;
Philocomasium — es war doch ihre Schwester! — wird zu
Unrecht beschuldigt, einen fremden Jüngling geküßt zu haben.
Sceledrus wird durch die Drohung Palaestrios, auch der
Bramarbas werde von der unwahren Verdächtigung erfahren
(394), vollends eingeschüchtert.
Die Form, in der der Traum eingeführt ist — man wird
angeblich durch einen wirklichen Vorgang des wachen Lebens
an einen Traum der Nacht erinnert —, begegnet uns hier
zum erstenmal; einigermaßen eine Analogie dazu bildet der
zweite Orakelspruch in den aristophanischen „Wespen" (799 ff.)
— der alte Philokleon erinnert sich plötzlich eines alten
Spruches — ; in der Tragödie käme etwa der dem Herakles von
Dodona aus erteilte Spruch über sein Lebensende in den
„Trachinierinnen", und in den „Phoinissen" der auf Kolonos
hinweisende Spruch des Loxias in Betracht. Die psycho-
logische Korrektheit des eben besprochenen Zuges muß jeder-
mann einleuchten. Die Form des Traumes bedarf, da sie
durchsichtig, weil theorematisch, ist, keiner weiteren Aus-
führungen; daß sich ein allegorischer Traum weniger zur
Intrigue geeignet hätte, liegt auf der Hand.
Das Traummotiv hat hier nicht die Aufgabe, sich an die
Zuschauer zu wenden, Aufmerksamkeit und Spannung zu er-
regen, sondern es soll nur eine einzige Person, Sceledrus, be-
einflussen und die Durchführung der Intrigue unterstützen.
Wenn die Argumentation der Hetäre mit dem Traum beim
Sklaven Eindruck macht, beweist das die Geneigtheit des
Sceledrus, an die Erfüllung von Träumen zu glauben; wir
beobachten folglich auch hier wieder die Verwendung des
Motivs der Mantik zum Zweck der Charakterisierung1.
1 Die moderne Zeit ist im allgemeinen wenig geneigt, so unbedingt
an die Erfüllung von Träumen zu glauben; daher erscheint das Traum-
motiv in der Verwendungsart, in der wir es hier sehen, für ein modernes
Drama unmöglich. — In dem Lustspiel „Nur ein Traum" von Lothar Schmidt
(München und Leipzig 1909) ist gleichfalls zur Durchführung einer In-
trigue — eine Frau will sich bei ihrem Gatten vom berechtigten Vorwurf
des Ehebruches befreien — das Traummotiv verwendet, aber in gerade
umgekehrter, wahrhaft raffinierter Anwendung: sie redet dem Mann nicht
Rudolf Staehlin
gekommen und in dem Nachbarhause eingekehrt zu sein;
Philocomasium — es war doch ihre Schwester! — wird zu
Unrecht beschuldigt, einen fremden Jüngling geküßt zu haben.
Sceledrus wird durch die Drohung Palaestrios, auch der
Bramarbas werde von der unwahren Verdächtigung erfahren
(394), vollends eingeschüchtert.
Die Form, in der der Traum eingeführt ist — man wird
angeblich durch einen wirklichen Vorgang des wachen Lebens
an einen Traum der Nacht erinnert —, begegnet uns hier
zum erstenmal; einigermaßen eine Analogie dazu bildet der
zweite Orakelspruch in den aristophanischen „Wespen" (799 ff.)
— der alte Philokleon erinnert sich plötzlich eines alten
Spruches — ; in der Tragödie käme etwa der dem Herakles von
Dodona aus erteilte Spruch über sein Lebensende in den
„Trachinierinnen", und in den „Phoinissen" der auf Kolonos
hinweisende Spruch des Loxias in Betracht. Die psycho-
logische Korrektheit des eben besprochenen Zuges muß jeder-
mann einleuchten. Die Form des Traumes bedarf, da sie
durchsichtig, weil theorematisch, ist, keiner weiteren Aus-
führungen; daß sich ein allegorischer Traum weniger zur
Intrigue geeignet hätte, liegt auf der Hand.
Das Traummotiv hat hier nicht die Aufgabe, sich an die
Zuschauer zu wenden, Aufmerksamkeit und Spannung zu er-
regen, sondern es soll nur eine einzige Person, Sceledrus, be-
einflussen und die Durchführung der Intrigue unterstützen.
Wenn die Argumentation der Hetäre mit dem Traum beim
Sklaven Eindruck macht, beweist das die Geneigtheit des
Sceledrus, an die Erfüllung von Träumen zu glauben; wir
beobachten folglich auch hier wieder die Verwendung des
Motivs der Mantik zum Zweck der Charakterisierung1.
1 Die moderne Zeit ist im allgemeinen wenig geneigt, so unbedingt
an die Erfüllung von Träumen zu glauben; daher erscheint das Traum-
motiv in der Verwendungsart, in der wir es hier sehen, für ein modernes
Drama unmöglich. — In dem Lustspiel „Nur ein Traum" von Lothar Schmidt
(München und Leipzig 1909) ist gleichfalls zur Durchführung einer In-
trigue — eine Frau will sich bei ihrem Gatten vom berechtigten Vorwurf
des Ehebruches befreien — das Traummotiv verwendet, aber in gerade
umgekehrter, wahrhaft raffinierter Anwendung: sie redet dem Mann nicht