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ist 15 02 datiert, der andere kann nur 1501 entstanden sein, und auch
das Gemälde muß in dieses Jahr gesetzt werden. Eine andere Zeit
steht nicht zur Verfügung, denn eine Entstehung in Kronach ist
auszuschließen. Die Kompositionen zeigen wie üblich das Kreuz
Christi in der Mitte, seitlich die Schächer, links die Trauernden,
rechts den Hauptmann mit seinem Gefolge zu Pferd. In dem frühe-
ren Holzschnitt steht Maria von Johannes gestützt, in dem späteren
von 1502 ist sie zu Boden gesunken, und Johannes beugt sich über
sie. Die Kreuze sind hoch herausgehoben, und im Hintergrund
sind Landschaften mit Bergen und Burgen geschildert. Polack so-
wohl wie Dürer sind sogleich spürbar. Die gewisse Derbheit der
Formprägungen, die heftigen Gebärden und drängenden Bewegun-
gen des einen, die freie Körperbehandlung und pathetische Aus-
drucksform des anderen haben sich in Cranach zu einer erregenden
Synthese verbunden, wobei er sich als ein sehr ursprüngliches
Talent bewährt hat. Er liebte lebhafte Formgeschiebe, die schief
und winklig aufeinandertreffen. Die Zeichnung kann kraus und
derb sein, stets ist sie temperamentvoll und ausdrucksreich. Nicht
wenige der Männer scheinen wüste Gesellen zu sein; grob sind
ihre Gesichter, grobschlächtig ihre Gebärden. Dazu tragen sie
fremdländische Bärte und Trachten, wie man sie auf den Straßen
Wiens damals wohl antreffen mochte. Ein elementares Naturgefühl
spricht aus alledem. Auch im 15. Jahrhundert waren die Schächer
mitunter gewaltsam über die Kreuze gespannt, wie aber Cranach
ihre schweren, fleischigen Körper windet und preßt und sich gegen
die Stricke stemmen läßt, das ist - gefördert von Dürers Apoka-
lypse - neu als realistische Beobachtung wie auch als leibliche Aus-
drucksgebärde.
61,6z Zwei packende Zeichnungen, die Schächer darstellen (Berlin), zei-
gen Cranachs wahrhaft geniale Art, solche leidenschaftlich bewegte
Gestalten, solche groteske Verrenkungen zu konzipieren. Mit kräf-
tigen, sicheren Strichen sind die Formen umrissen, detailliert und
modelliert. Und einheitlich als etwas Gewachsenes sind die Gestal-
ten begriffen. Knorpelig wie Bäume und Felsen erscheint ihre Ma-
terie. Und auch der Bildraum macht den Eindruck des Gewachse-
nen. Er ist völlig unrational, nicht konstruiert, sondern scheint ge-
wissermaßen mit den Figuren erstanden zu sein. Dabei spielen
Licht und Farbe eine gewichtige Rolle. Eine lebhafte Palette und
kräftige Auflichtungen formen Figuren und Dinge. Pinsel und
Kohle sind weich gehandhabt. Daß die Linien trotzdem eine wich-
tige Funktion behalten, sagten wir schon. Sie greifen über und ver-
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knüpfen, sie sind mimische Leitmotive ähnlich wie in den Schnitz-
werken Michael Pachers, aber nun sind sie nicht mehr abstrakt, viel-
mehr körperhaft und wirklichkeitsnah. Sie sind es im Sinne eines
vegetabilisch interpretierenden Realismus.
Um dies zu verstehen, darf an die gleichzeitigen spätgotischen Por-
tale erinnert werden, die nicht selten von naturalistischen Gebilden,
Ästen und Baumstämmen umfaßt werden. Es gehört zum Form-
gefühl der ausgehenden Gotik, Formen naturalistisch ins Vegeta-
bilische umzudeuten und ihnen den Anschein des Gewachsenen,

18 albrecht Altdorfer Der heilige Christophorus 1513
 
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