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VI.NAIV ODER SENTIMENTALISCH?

Der Donaustil äußerte sich am eindrucksvollsten in Werken der
Malerei. So spiegelt es uns nicht nur unsere Vorstellung vor, wir
täuschen uns nicht, das Schicksal hat nicht eine zufällige, in die
Irre führende Auswahl getroffen, auch zu seiner Zeit war er vor
allem eine Sache der Malerei, weil der Farbe, weil der Malweise.
Damit ist schon eine Parallele zur Romantik um 1800 aufgezeigt,
der die Donaumalerei mehrfach verglichen worden ist. In der Tat,
der Ähnlichkeiten sind nicht wenige. Die historische Situation er-
scheint verwandt, und der Charakter der beiden Stilphänomene
scheint ebenso verwandt gewesen zu sein.
Wie nur noch die Zeit des frühen 13. Jahrhunderts waren die Jahr-
zehnte zu Anfang des 16. Jahrhunderts und wiederum die um 1800
Genieepochen. Hochbegabte Talente und geniale Begabungen
schufen allenthalben Werke von zeitloser Bedeutung. Sehr ausge-
prägte individuelle Begabungen waren die Künstler dieser Epochen,
so daß sich diese als auffallend mehrstimmig erweisen. Dürer,
Grünewald, Baidung, Altdorfer, Lucas Cranach, Hans Burgkmair,
Jörg Breu, Wolf Huber, der Meister der Historia oder die Vischer-
Werkstatt, Hans Leinberger, Loy Hering, Hans Backoffen, der
Monogrammist h. l., wahrscheinlich Hans Loy, Konrad Meit, Hans
Witten, viele andere und wiederum um x 800 Goethe, Schiller, die
Schlegel, Lenz, Novalis, Hölderlin, E.T.A.Hoffmann, Kleist,
Eichendorff, viele andere - jeder um 1800 wie um 1500 begegnet
als eine eigenwillig geprägte Persönlichkeit, jeder scheint sich seine
Ausdrucksmittel sehr wesentlich selbst zurechtgeformt zu haben.
Wenn man aber von Dürerzeit und von Goethezeit spricht, so soll
damit gesagt werden, daß vor und über ihren Epochen ein Goethe,
ein Dürer gestanden haben, daß sie vor allen anderen ihrer Zeit
die Ausdrucksmittel gelehrt und ihr damit das Gesicht geprägt
haben. Sie haben es auch da veranlaßt, wo es sich am Ende recht
verschieden von ihren Zielen dargeboten hat.
Wie Dürer, sieht man es richtig, auch dem Donaustil entscheidende
Anlässe geboten hat, so gingen von Goethes früher Dichtung nicht
wenige Anstöße aus, die zur Geburt der Romantik geführt haben.
In Gedichten aus den Jahren um 1780 - wir denken an Wanderers
Nachtlied, den Gesang der Geister über den Wassern, die Harzreise
im Winter, Grenzen der Menschheit, an den Mond, Mignon - hat

Goethe durch seine unmittelbare Schilderung der Motive zu einer
neuen Naturbetrachtung geführt und gezeigt, wie sich das Ge-
sehene, Erfahrene im Ich zu spiegeln vermag. So hat er seiner Zeit
zu einem neuen Natur-Ich-Erleben die Zunge gelöst, hat er den
Dichtern und Malern der Romantik gewiesen, wie Meer und Berg,
Nebel und Gewitter, Sommerabendrot oder Schnee Interpreten der
inneren Stimmen werden, wie im Werden und Vergehen der Natur,
im Blütenhauch und Sturm der Atem des Lebens und die Ahnung
des Menschen vom Allumfasser und Allerhalter Sprache und Ge-
stalt finden können. Goethes titanenhaftes Erlebnisvermögen zwang
Natur und Geschichte, Faust und Griechenland, die Wasser, die
vom Himmel kommen und zu ihm emporsteigen, die Ruh über den
Gipfeln, Erlkönig, das Land, wo die Zitronen blühen, zum Reflek-
tor seiner Seele, seines Herzens, seiner Schmerzen und Freuden.
Dies aber, dies Eingehen der Welt um ihn in ihn hinein und dieses
Zurückkehren aus ihm wie feinabgestimmte Wellen eines wunder-
samen Stromes - das sind ja jene Gedichte und auch viele spätere,
das ist ja der ganze Faust -, das half zur Geburt der Romantik der
Dichter wie der Maler.
Die Struktur der geschichtlichen Felder war um 1500 und um 1800
auffallend verwandt. Sie schöpften mehr als andere Zeiten aus dem
vollen, am Beginn stand je eine geniale Künstlerpersönlichkeit, der
sich keiner entziehen konnte, wohin sein Weg auch schließlich füh-
ren sollte, ob zur Dürer-Nachfolge, zum Barock eines Leinberger
oder zur Donauschule, ob - um 1800 - zur Klassik oder zur Roman-
tik, sie waren Zeiten der Dialoge und der Diskussionen, Zeiten,
die den Abgesang eines Zeitalters überwanden und zu Neuem
strebten.
Und wiederum ist verwandt, was diese Künstler nach 1500 und
um 1800 in ihren Gemälden und Zeichnungen, Gedichten und
Romanen dargestellt haben. Wie die Romantiker liebten die Donau-
maler das weite Land, den Zauber des Waldes, den Zauber des Was-
sers, sie liebten die Natur im Lichte des Tages und in der Düsternis
der Nacht, sie liebten die Sonne, den Mond und den Sturm, sie
liebten die Unendlichkeit und das Kleine. Es ist wahr, hätte Jean
Paul die Alexander schlacht Altdorfers gekannt, er hätte Worte, die er
im Titan geschrieben hat, in anschaulicher Gestalt wiedergefunden:
 
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