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Steinmann, Ernst; Michelangelo [Editor]; Lewald, Theodor [Honoree]
Michelangelo im Spiegel seiner Zeit — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 8: Leipzig: Poeschel & Trepte, 1930

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47058#0031
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schlug, eine Entstellung, die vielleicht mehr, als wir heute ahnen, der Lebens-
anschauung Michelangelos schon früh den pessimistischen Einschlag gegeben
hat1. Auch die Begegnung mit Leonardo auf der Piazza della Santissima Trinitä, wo
Michelangelo wieder der Angreifende war, indem er eine Aufforderung Lionar-
dos, einen Dantevers zu erklären, in brüsker Weise ablehnte, erscheint nur als
ein vereinzeltes Symptom des „grandissimo sdegno“, der nach Vasari zwischen
beiden Künstlern herrschte2. Diese Erzählung ist uns von einem Anonymus
überliefert worden, und von Lomazzo erfahren wir die Anekdote der Begegnung
Michelangelos mit Raffael im Vatikan: „Umringt wie ein Häscher“! soll Michel-
angelo gehöhnt haben, als er dem Urbinaten mit seinem Troß von Freunden
und Schülern begegnete. „Einsam wie ein Henker“! gab Raffael schlagfertig
zurück. Was könnte die Eigenart dieser beiden großen Künstler prägnanter zum
Ausdruck bringen, als diese Erzählung?3
Michelangelo hat es einmal mit eigenen Worten eingestanden, daß er selbst die
Schuld an all seinem Unglück trage, weil er nicht verstanden habe, sich zu beherr-
schen4, und wenn Vasari behauptet, er sei in den vielen Auftritten, die er mit an-
deren gehabt hat, nie der Angreifer, sondern stets der Verteidiger gewesen, so
widersprechen diesem Zeugnis die Tatsachen5. Überallhin verfolgte den großen
Mann ein unabwendbares Verhängnis, ein unwiderstehliches Bedürfnis mit eigener
Hand zu zerstören, was seinem innersten Wesen nicht mehr entsprach.
Wie aufrichtig war Sebastiano del Piombo Michelangelo ergeben! Wie geschäftig
war er mehr als ein Jahrzehnt lang gewesen, von Rom nach Florenz über die
Stimmung der Päpste, über Worte und Taten römischer Künstler, kurz über
alles zu berichten, was Michelangelos Aufmerksamkeit fesseln konnte6. Eines
Tages kam es zum Bruch, als Sebastiano del Piombo Michelangelo veranlassen
wollte, das Jüngste Gericht nicht in Fresko, sondern in öl zu malen. Michel-
angelo, der in Sebastiano bis dahin einen seiner zuverlässigsten Freunde gefunden
zu haben glaubte und den größten Porträtmaler seiner Zeit in ihm bewundert
hatte, erklärte jetzt die Ölmalerei als eine Sache für Weiber und Faulpelze wie
1 Vita di Benvenuto Cellini, ed. Orazio Bacci, Firenze 1901, p. 26, und ed. Paolo d’Ancona, Milano (1926), p. 50.
Vgl. Vasari VII, p. 145, und Karl Frey, Michelagniolo Buonarroti, Quellen und Forschungen, Berlin 1907, I, p. 22.
Frey versucht Ort, Zeit und Grund der Verstümmelung festzustellen.
2II Codice Magliabecchiano, ed. Karl Frey. Berlin 1892, p. 115 u. 374/76.
3 Paolo Lomazzo, Idea del tempio della pittura (Erstausgabe Milano 1590); Neudruck Bologna 1785, p. 148.
1 „Per non mi esser saputo governare.“ Vgl. den berühmten Brief an einen unbekannten Monsignore bei Milanesi,
Lettere, p. 490. In demselben Briefe (p. 492) sagt Michelangelo von sich: „appresso degli uomini, non dico di
Dio, mi tengo uomo da bene perche non ingannai mai persona e ancora perche a difendermi dai tristi bisogna
qualche volta diventare pazzo, come vedete.“
5 „Truovasi, ehe non ha mai biasimato l’opere altrui, se egli prima non es tato o morso o percosso.“ Vasari, Erst-
ausgabe 1550III, p. 987. Le Vite di Michelangelo Buonarroti, ed. Karl Frey, Berlin 1887, p. 172.
' Vgl. die aufschlußreichen Briefe Sebastianos an Michelangelo, ed. Milanesi, Paris 1890, im italienischen Urtext
mit französischer Übersetzung.

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