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Steinmann, Ernst; Michelangelo [Hrsg.]; Lewald, Theodor [Gefeierte Pers.]
Michelangelo im Spiegel seiner Zeit — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 8: Leipzig: Poeschel & Trepte, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.47058#0033
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' Julius II. zu trotzen wagte und Leo X. Furcht einflößte, der Mann, den seine
Zeitgenossen nicht nur als den „Göttlichen“ gepriesen, sondern auch als den
„Schreckenerregenden“ gefürchtet haben.
Und das gleiche Verhängnis, das ihn persönlich nie zur Ruhe kommen ließ,
schien auch über seinen größten Meisterwerken zu walten. Die Bronzestatue
Julius II. und der Karton von Pisa fanden einen frühen Untergang. Der David
erregte bei seinem Transport auf die Piazza della Signoria den Neid der mit-
strebenden Künstler und mußte vor ihren Steinwürfen geschützt werden1. Die
Fassade von San Lorenzo, die der Spiegel aller Kunst in ganz Italien werden sollte,
ist nie begonnen worden. Die Grabdenkmäler der Medici blieben unvollendet
und die Tragödie des Julius-Denkmales, von dem nur Bruchstücke zur Aus-
führung gelangten, vergiftete Michelangelos beste Lebensjahre. Mit eigener
Hand hat er endlich noch in späten Jahren die Pieta, die heute unter Brunelleschis
Kuppel aufgestellt ist, zerschlagen und die Fülle seiner Zeichnungen und
Kartons verbrannt, die Zeugen der unsäglichen Mühsal, die es dem Schaffenden
gekostet hat, auch als Zeichner eine nie geschaute Vollendung zu erreichen.
Bei der Außerordentlichkeit solcher Schicksale, bei der Undurchdringlichkeit
seines Charakters und seiner Rede2 und endlich bei der früh allgemein aner-
kannten Unerreichbarkeit seiner künstlerischen Kraft mußten Gerüchte und
Sagen aller Art schon früh wie üppig wuchernde Schlingpflanzen die Riesen-
gestalt Michelangelos umranken. Was hat nicht Francisco de Hollanda im Jahre
1538, als er in Rom weilte, über Michelangelo und seine Werke in Rom gehört
und kritiklos in seinen Aufzeichnungen festgehalten! Noch waren in aller Ge-
dächtnis die Konflikte, die Michelangelo seinerzeit mit Julius II. in der Sixti-
nischen Kapelle gehabt hatte. Nur wurden sie von dem Portugiesen, der die
inneren Zusammenhänge nicht kannte, ohne weiteres von Julius II. auf Cle-
mens VII. übertragen. Als ihm der Bacchus bei Jacopo Gallo - heute im Bar-
gello zu Florenz - als Antike vorgeführt wurde, erkannte sein geübtes Auge
allerdings sofort das moderne Kunstwerk und man gab ihm schließlich zu,
Michelangelo habe es gefertigt. Man versuchte, ihn mit diesem Werk Michel-
angelos ebenso zu täuschen, wie seinerzeit der Kardinal Riario mit dem Cupido
getäuscht worden war, jenem verschollenen Werk Michelangelos, das ihm als
Antike verkauft worden war3.
Bereits im Jahre 1528 wurden G. B. Giraldis Novellen niedergeschrieben, und
hier findet sich eine anmutige Erzählung, wie Michelangelo, dem immer vor-
1 Luca Landucci, Diario Fiorentino ed. Jodoco del Badia (Firenze 1883), p. 268. Übersetzung von Marie
Herzfeld (Jena 1913), p. 119.
‘ Vasari, Vite ed. Frey, p. 178. (Erstausgabe 1550, p. 989): „E stato nel suo dire molto coperto ed ambiguo, avendo
le cose sue quasi due sensi.“
3 Francisco de Hollanda, ed. Joaquim de Vasconcellos. Wien 1899, p. 193/196.

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