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Steinmann, Ernst; Michelangelo [Hrsg.]; Lewald, Theodor [Gefeierte Pers.]
Michelangelo im Spiegel seiner Zeit — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 8: Leipzig: Poeschel & Trepte, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.47058#0034
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geworfen wurde, daß er keine Schüler an sich zu fesseln vermochte, milde und
strenge zugleich einem jungen und überheblichen Schüler die wohlverdiente
Zurechtweisung erteilt1.
Hier, wie in der Begegnung mit dem Töpferlehrling aus Ferrara, wie in der
Novelle vom Mörser erscheint Michelangelo wie ein Weiser, der aus dem Reich-
tum seines Wissens und Könnens mit vollen Händen zu geben verstand, wenn
Einfalt und Unerfahrenheit sich vertrauensvoll an ihn wandten. Ein einfacher
Bürgersmann, der einen Mörser brauchte, wurde zum Scherz von einem Bild-
hauer, an den er sich gewandt, zu Michelangelo geschickt. Michelangelo merkte
den Schabernack, den man ihm spielen wollte, aber er nahm den Auftrag an und
hatte nach einigen Wochen ein Wunder von Geschmack und Schönheit her-
gestellt. „Geh zu dem Bildhauer, der dich her sandte, damit er das Werk ab-
schätze“, sagte er dem Auftraggeber, der nach kurzer Zeit zurückkam mit der
Bitte, den Mörser zurückzunehmen, denn jener Mann habe ihm gesagt, das
Stück sei unschätzbar und passe mehr in Michelangelos, als in seine Hände2.
Die Begebenheit mit dem Töpferlehrling aus Ferrara soll hinter der Peters-
kirche gespielt haben. Michelangelo dankte dem Lehrling für das Brennen eines
Tonmodells, das sehr zu seiner Zufriedenheit ausgefallen sei. Er solle sich
einen Lohn ausbitten! Der Jüngling, erfreut und überrascht, brachte ein Stück
Papier herbei und bat Michelangelo, er möge ihm einen stehenden Herkules
zeichnen. Michelangelo nahm das Blatt, trat unter ein kleines Dach, wo eine
Bank zum Sitzen war, stellte den rechten Fuß darauf, stützte den Ellenbogen auf
das erhobene Knie, dachte ein wenig nach und begann zu zeichnen. Als er fertig
war, gab er dem Jüngling das Blatt, das alle, die es gesehen, als ein Wunderwerk
der Zeichnung gepriesen haben. „So leicht ist es ihm gefallen,“ heißt es am
Schluß der Novelle, „seine Ideen Taten werden zu lassen.“
Solche Erzählungen, die von Mund zu Mund gingen und immer ein Körnchen
Wahrheit enthielten, beweisen, daß Michelangelo, der den Päpsten Schrecken
einflößte und dem Gesandten des Herzogs von Ferrara, seinem alten Gönner,
die Tür wies, weil er sich an dem Ledabilde eine ungebührliche Kritik erlaubt
hatte, in der Phantasie des Volkes in seinen menschlich schönsten Eigenschaften
festgehalten wurde, die ihn immer Freude finden ließen am Verkehr mit den
Geringen, die ihm schlichten Herzens ihre Wünsche offenbarten.

1 Steinmann-Wittkower, p. 160.
2 Steinmann, Michelangelo-Legenden in Frankfurter Zeitung vom 5. und 7. Januar 1916. Bottari, Lettere VI,
p. 133/36. Hanns Floerke (Die fünfundsiebenzig italienischen Künstlernovellen der Renaissance, München
1913) hat die auf Michelangelo bezüglichen Novellen ziemlich vollständig zusammengestellt. Vgl. A. F. Doni,
I Marmi, ed. Ezio Chiörboli, Bari 1928, I, p. 100/101. (Michelangelo lehrt einen Steinmetzen eine Kunst, die er
nicht zu besitzen glaubte. Vasari (K. Frey, Literarischer Nachlaß I, p. 190) bezieht diese Erzählung auf die Hermen
am Juliusdenkmal: Schreiben vom 12. Februar 1547 (st. c.) an Bcnedetto Varchi.

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