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Steinmann, Ernst; Michelangelo [Hrsg.]; Lewald, Theodor [Gefeierte Pers.]
Michelangelo im Spiegel seiner Zeit — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 8: Leipzig: Poeschel & Trepte, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.47058#0043
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beiden Künsten, der Skulptur oder der Malerei. Natürlich hat „Michelagniolo
scultore“, wie er sich sein Leben lang genannt hat und wie er sich noch mit
eigener Hand in sein Exemplar der Rime der Vittoria Colonna eintrug, der Bild-
hauerkunst die Palme erteilt, indem er sie in seinem Schreiben an Benedetto
Varchi die Fackel - la lanterna - der Malerei genannt hat.
Daß Michelangelo noch in seinen späten Jahren die Absicht gehabt hat, selbst
unter die Schriftsteller zu gehen, bezeugt uns Condivi. Aber der Traktat über
die menschlichen Bewegungen“ ist niemals geschrieben worden1, und in der
reichen Literatur des Cinquecento hat Michelangelo sich nur als Dichter einen
Namen gemacht. Und wie schon die Mitwelt ihn als größten Künstler der Ver-
gangenheit und Gegenwart neidlos gepriesen hat, so hat sie auch seinen Dich-
tungen, die viel weiter verbreitet waren und viel mehr gelesen wurden, als wir
heute glauben möchten, schon früh Interesse, ja Bewunderung entgegen-
gebracht. Hat doch schon Anfang der dreißiger Jahre der skeptische und fein-
sinnige Francesco Berni über Michelangelo als Dichter das oft wiederholte
Schlagwort geprägt: „Egli dice cose e voi dite parole 1“2 und ihn als Menschen mit
den Worten gepriesen: „Er ist keine Frau, aber ich habe mein Herz an ihn verloren.“
Den Umgang mit Gelehrten und Männern, die die Feder führten, hat Michel-
angelo sein Leben lang eigentlich jedem anderen Umgänge vorgezogen, es sei
denn, daß er sich gelegentlich mit Leuten aus dem Volk, mit Handwerkern
und Bauern einließ, deren Herzenseinfalt, Mutterwitz und Treuherzigkeit ihn
ergötzten. Kein Geringerer als Angelo Poliziano führte ihn am Hof des Lorenzo
Magnifico in die Welt antiker und moderner Dichtung ein, und seinem Gast-
freund Aldrovandi las er in Bologna Dante, Boccaccio und Petrarca vor. Die
leidenschaftliche Liebe für Tommaso Cavalieri und die grenzenlose Verehrung
für Vittoria Colonna haben dann noch in späten Lebensjahren dichterische
Fähigkeiten in ihm reifen lassen, die er selbst vielleicht so wenig zu besitzen
glaubte, wie sich der Steinmetz für einen Bildhauer hielt, den er eine Herme
am Grabmal Julius II. arbeiten ließ.
Und gerade damals kreuzten zwei vortreffliche Männer seinen Lebensweg, die
nicht nur den großen Künstler, sondern vor allem auch den einzigartigen
Menschen in Michelangelo bewunderten und mit jedem Tage mehr bereit waren,
ihm die schweren Sorgen seines Daseins zu erleichtern. Luigi del Riccio3 und
1 Vgl. Condivi, ed. Gori, Firenze 1746, p. 117, wo der Titel des Buches heißt: 11 Trattato di tutte le maniere
de’ moti umani e apparenze e dell’ossa con una ingegnosa Teorica per lungo uso ritrovata, ai professori di
scultura e pittura utilissima. Dieser weitschweifige Titel scheint eher eine Erfindung Condivis als eine Absicht
Michelangelos gewesen zu sein.
211 Primo libro delle opere burlesche etc., Firenze, Giunti, 1548* Vgl. Antonio Virgili, Francesco Berni. Fi-
renze 1881, p. 467. Frey, Dichtungen, p. 263-65, und Steinmann-Wittkower, p. 27.
3 Itinerar des Luigi del Riccio (i534?-i546) bei Frey, Dichtungen, p. 528.

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