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Steinmann, Ernst; Michelangelo [Hrsg.]; Lewald, Theodor [Gefeierte Pers.]
Michelangelo im Spiegel seiner Zeit — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 8: Leipzig: Poeschel & Trepte, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.47058#0074
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anzunehmen, das für seinen Zweck ungeeignet ist, und wenn es auch vom
Himmel käme.“1 Und doch konnte es ihm im Frühjahr 1557 passieren, daß
der Werkmeister Malenotti eine Wölbung so unverständig aufmauerte, daß sie
wieder zerstört werden mußte: „Könnte man sterben vor Scham und Schmerz“,
schrieb Michelangelo damals an Vasari, „so wäre ich tot“2.
Siebzehn Jahre lang unter fünf Päpsten hat Michelangelo den Bau der Peters-
kirche geleitet. Nur ein einziges Mal scheint er Rom in diesen langen
Jahren verlassen zu haben, als er Mitte September 1556 eine Pilgerfahrt nach
Loreto unternahm, aber nur bis Spoleto gelangte, wo er bei den Einsiedlern
des Monte Luco friedliche Wochen verbrachte. „Nur in den Wäldern findet
man Frieden“, schrieb er in Erinnerung an diese Tage noch im Dezember an
den Freund nach Florenz3.
Wie Moses auf dem Berge Nebo das gelobte Land erschaute, in das er selbst
den Fuß nicht setzen sollte, so hat auch Michelangelo die Vollendung der Peters-
kuppel nicht erleben sollen, aber wenigstens das Modell für die Kuppel ließ er
in seinem eigenen Hause arbeiten und ließ es als Vorbild und Vermächtnis der
Nachwelt zurück4.
Ein größerer Abschluß dieses großen Daseins ist überhaupt nicht zu denken.
In der Folgerichtigkeit aller Entwicklungen, in dem immer Weiter-Ausreifen zu
höherer und reinerer Tätigkeit, in dieser Krönung seines Lebenswerkes mit dem
herrlichsten Kuppelbau der Erde liegt in der Tat etwas so Erhabenes, daß es
mit irdischen Maßstäben überhaupt nicht gemessen werden kann.
Angesichts der Peterskuppel brach Goethe einmal in die Worte aus, daß ihn
die Größe Michelangelos mit heiligen Schauern bewege, und diese Kuppel wurde
ihm zum Gleichnis des geheimnisvollen Zaubers, mit dem sein Name noch
heute die Atmosphäre Roms erfüllt5.
In einem Schreiben, das Vasari am 4. April 1560 aus Rom an Herzog Cosimo rich-
tete, beschreibt er seine Begegnung mit Michelangelo am Macell de’Corvi in
jener tendenziös übertriebenen Weise, die immer aufs neue unsere Kritik heraus-
fordert, sobald Vasari von seinen Beziehungen zu Michelangelo spricht. Wenn wir
1 Ohne Datum zuerst gedruckt bei Carlo Fea, Notizie intorno Raffaele Sanzio da Urbino. Roma 1822. p. 35.
Wiederabgedruckt von K. Frey im Jahrb. d. K. Pr. Kunstsammlg. XXXI (1911), Beiheft p. 94.
2 K. Frey, Vasari, Literarischer Nachlaß. I, p. 481/2.
3 Milanesi, Lettere, p. 541. Nach einer unverbürgten Tradition soll Michelangelo im Eremo neben S. Maria
delle Grazie gewohnt haben. Bandini, Monte Luco, Spoleto 1921, p. 176.
4 „Pregato da tutta Roma“, hatte er diese Arbeit übernommen, Brief an den Neffen Leonardo am 15. Feb-
ruar 1557. Vgl. Lettere, ed. Milanesi, p. 333. Der Beginn der Ausführung des Modells zog sich aber noch bis
in den November 1558 hin. KarlTolnai (Beiträge zu den späten architektonischen Projekten Michelangelos im
Jahrbuch der Pr. Kunstsamml. LI (1930), p. 12 hat zuerst nach Dokumenten und Zeichnungen vier
Modelle Michelangelos für die Kuppel feststellen können. (Zwei in Ton und zwei in Holz, gegen K. Frey,
der nur drei Modelle kannte.)
6 Diese Angabe findet sich nur bei P. Hume Brown, Life of Goethe 1920. I, p. 330/31.

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