33
Trauer. Wir verstehen den leidenschaftlichen Aufschrei von Frankreichs
Balladendichter Paul Fort, der der Kathedrale fast gegenüber geboren war.
Wir suchen sogar den ersten Aufschrei des Schmerzes und der Empörung
zu verstehen bei den edelsten Geistern des jungen Frankreichs, die Plainte
de Reims von Andre Suares, das Pro Aris von Romain Rolland, die beide
geschrieben sind, ohne daß ihre Verfasser die Kathedrale selbst gesehen,
ohne daß sie den Zustand selbst feststellen, ohne daß sie vor allem die
Umstände kennen konnten. Fast sieht es aus, als ob die Fanfare von Reims
unseren Feinden nur allzu willkommen gewesen sei. Sie haben aus dieser
Einzelszene in dem großen Ivriegsdrama ein Drama für sich gemacht. Wie
billig erscheint uns der Entrüstungssturm der protestations, die in der
ganzen Welt Stimmen gesucht haben in eintönigen Superlativen der Indi-
gnation; in jener auf Stelzen gehenden, sich am Klang der eigenen großen
Worte berauschenden Sprache, die nur den Franzosen möglich scheint,
sind hier Schmähungen auf Beschimpfungen gehäuft. Ob die Urheber
dieser Äußerungen, wenn ihnen einmal nach Jahren die Dokumente ihres
Hasses wieder in die Hände fallen, nicht selbst erröten, daß sie schlecht
orientiert und von einer unerklärlichen, aber gefährlichen Psychose ergriffen,
zu einer so unwürdigen Sprache sich erniedrigt haben? Was im vorigen
Herbst entschuldbar war, in jenen Zeiten der höchsten Erregung, von vehe-
menten Ausbrüchen des Schmerzes und des Kummers, eines Kummers,
den wir verstehen und vor dem wir uns beugen, das ist nicht mehr entschuld-
bar heute, nachdem jene ersten französischen Weckrufe sich als haltlos
übertrieben und als lächerliche Fälschungen erwiesen haben, heute, wo
auch die Franzosen sich längst gesagt haben, daß sie selbst fortgesetzt
und hartnäckig die Beschießung der Stadt herausfordern und erzwingen,
heute vor allem angesichts der ausgedehnten Zerstörungen, die umgekehrt
französische und englische Granaten an den französischen und belgischen
Kunstdenkmälern an der Westfront, entsprechend der gleichen militärischen
Notwendigkeit, haben hervorrufen müssen. Nach so vielen namenlosen
Sonderveröffentlichungen ist vor einigen Monaten noch jene schon er-
wähnte Anklageschrift erschienen: „Les Allemands Destructeurs de Cathe-
drales et de Tresors du Passe“, die alle diese Anklagen ungemindert wieder
aufnimmt. Unbegreiflich erschien uns, daß sich hier die angesehensten
Persönlichkeiten aus dem Lager des geistigen und künstlerischen Frank-
reichs unter dem Druck der gleichen Hypnose zusammengefunden haben,
Namen, die wir mit Respekt zu nennen gewohnt waren. Wenn Männer mit
so klangvollem Namen sich einer solchen Erklärung anschließen, so hätte
man erwarten dürfen, wenigstens jetzt erwarten dürfen, daß sie die Klage-
punkte sorgfältig prüfen und wägen und wenigstens den Versuch machten,
die militärische Situation zu verstehen. Aber auch diese Broschüre übersieht
geflissentlich — das ist die Schuld der Verfasser, die sich nicht nennen —
dabei alle die Auslassungen in der eigenen, in der verbündeten und in der
neutralen Presse, die alle direkt und ausdrücklich diese offizielle französische
Auffassung widerlegen.
Und wenn diese beklagenswerten Zerstörungen an dem plastischen
Schmuck der Kathedrale einen solchen Umfang annehmen konnten: haben
denn die Franzosen alles getan, um eine Beschädigung zu verhindern?
Man möchte antworten: sie haben alles unterlassen. Die französischen und
Trauer. Wir verstehen den leidenschaftlichen Aufschrei von Frankreichs
Balladendichter Paul Fort, der der Kathedrale fast gegenüber geboren war.
Wir suchen sogar den ersten Aufschrei des Schmerzes und der Empörung
zu verstehen bei den edelsten Geistern des jungen Frankreichs, die Plainte
de Reims von Andre Suares, das Pro Aris von Romain Rolland, die beide
geschrieben sind, ohne daß ihre Verfasser die Kathedrale selbst gesehen,
ohne daß sie den Zustand selbst feststellen, ohne daß sie vor allem die
Umstände kennen konnten. Fast sieht es aus, als ob die Fanfare von Reims
unseren Feinden nur allzu willkommen gewesen sei. Sie haben aus dieser
Einzelszene in dem großen Ivriegsdrama ein Drama für sich gemacht. Wie
billig erscheint uns der Entrüstungssturm der protestations, die in der
ganzen Welt Stimmen gesucht haben in eintönigen Superlativen der Indi-
gnation; in jener auf Stelzen gehenden, sich am Klang der eigenen großen
Worte berauschenden Sprache, die nur den Franzosen möglich scheint,
sind hier Schmähungen auf Beschimpfungen gehäuft. Ob die Urheber
dieser Äußerungen, wenn ihnen einmal nach Jahren die Dokumente ihres
Hasses wieder in die Hände fallen, nicht selbst erröten, daß sie schlecht
orientiert und von einer unerklärlichen, aber gefährlichen Psychose ergriffen,
zu einer so unwürdigen Sprache sich erniedrigt haben? Was im vorigen
Herbst entschuldbar war, in jenen Zeiten der höchsten Erregung, von vehe-
menten Ausbrüchen des Schmerzes und des Kummers, eines Kummers,
den wir verstehen und vor dem wir uns beugen, das ist nicht mehr entschuld-
bar heute, nachdem jene ersten französischen Weckrufe sich als haltlos
übertrieben und als lächerliche Fälschungen erwiesen haben, heute, wo
auch die Franzosen sich längst gesagt haben, daß sie selbst fortgesetzt
und hartnäckig die Beschießung der Stadt herausfordern und erzwingen,
heute vor allem angesichts der ausgedehnten Zerstörungen, die umgekehrt
französische und englische Granaten an den französischen und belgischen
Kunstdenkmälern an der Westfront, entsprechend der gleichen militärischen
Notwendigkeit, haben hervorrufen müssen. Nach so vielen namenlosen
Sonderveröffentlichungen ist vor einigen Monaten noch jene schon er-
wähnte Anklageschrift erschienen: „Les Allemands Destructeurs de Cathe-
drales et de Tresors du Passe“, die alle diese Anklagen ungemindert wieder
aufnimmt. Unbegreiflich erschien uns, daß sich hier die angesehensten
Persönlichkeiten aus dem Lager des geistigen und künstlerischen Frank-
reichs unter dem Druck der gleichen Hypnose zusammengefunden haben,
Namen, die wir mit Respekt zu nennen gewohnt waren. Wenn Männer mit
so klangvollem Namen sich einer solchen Erklärung anschließen, so hätte
man erwarten dürfen, wenigstens jetzt erwarten dürfen, daß sie die Klage-
punkte sorgfältig prüfen und wägen und wenigstens den Versuch machten,
die militärische Situation zu verstehen. Aber auch diese Broschüre übersieht
geflissentlich — das ist die Schuld der Verfasser, die sich nicht nennen —
dabei alle die Auslassungen in der eigenen, in der verbündeten und in der
neutralen Presse, die alle direkt und ausdrücklich diese offizielle französische
Auffassung widerlegen.
Und wenn diese beklagenswerten Zerstörungen an dem plastischen
Schmuck der Kathedrale einen solchen Umfang annehmen konnten: haben
denn die Franzosen alles getan, um eine Beschädigung zu verhindern?
Man möchte antworten: sie haben alles unterlassen. Die französischen und