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VI. VERHÄLTNIS DER BALUSTRADE ZUR UMGEBUNG.

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uns vorliegt«. »Aber; nun — so fährt Robert fort — kam
die glorreiche Zeit, wo man auf der Burg keine Festungs-
werke mehr baute; Perikles entfestigte die Burg und es be-
gann der Bau der Propyläen und des Niketempels an den-
selben Stellen, die einst Kimon zur Anlage von kriegerischen
Bauten bestimmt und bereitet hatte.« »Der peloponnesische
Krieg machte den kühnen Entwürfen ein jähes Ende und
nötigte zu einer empfindlichen Beschränkung des ursprüng-
lichen Planes.« Selbst dieser beschränkte Plan wurde nicht
mehr völlig zu Ende geführt. Aber nicht der Niketempel —
so behauptet Robert — hat die Aenderung veranlasst; er
war von Anfang an im Zusammenhang der Propyläen mit
beabsichtigt: nur äussere, im dritten oder vierten Jahr der
86. Olympiade eintretende Gründe sind es, welche die Be-
schränkung veranlassten. »Die beginnenden Verwicklungen
der äusseren Politik, welche dem peloponnesischen Krieg
vorangingen, mussten für die Athener dringende Mahner sein,
die pecuniären Hülfsmittel des Staates zusammenzuhalten und
die begonnenen baulichen Unternehmungen möglichst schnell
zu einem Abschluss zu bringen, auf Entwürfe aber, welche
Geldmittel und Arbeitskräfte auf viele Jahre hinaus in An-
spruch nahmen, vorläufig zu verzichten.«

Indess liegt die Sache nicht ganz so einfach, als es nach
den sich wol zusammenfügenden Erörterungen von Robert
scheinen könnte.

Es ist sehr glaublich, dass in Kimonischer Zeit die Be-
festigung der Westseite der Burg in ähnlicher Weise beab-
sichtigt und vielleicht auch begonnen wurde, wie Robert dies
voraussetzt. Aber es lässt sich nicht erweisen, wie weit diese
Befestigung wirklich durchgeführt wurde. Denn die Ueber-
lieferung schreibt Kimon ausdrücklich die Südmauer zu. Noch
weniger zu erweisen ist, dass damals die jetzige Richtung
des Aufgangs zu den Propyläen hergestellt worden sei. Nach
den Untersuchungen von Bohn hat die Bastion ihre jetzige
Gestalt im Anschluss an die Propyläen durch Erhöhung,
durch Coupirung und durch Erbreiterung erhalten, und die
kleine Treppe, die Pyrgoswand samt dem Kranzgesimse und
dem Tempel sind aus einem Gusse. Also können Perikles
und Mnesikles nicht die Bastion, wie sie ist, als Erbschaft des
Kimon übernommen haben, und nicht die Propyläen haben
sich nach der Bastion, sondern die Nordwand der Bastion
hat sich nach den Propyläen gerichtet.

Ich gestehe, dass ich die Bewunderung für die Anlage
des Pyrgos mit dem kleinen Tempel darauf im Zusammen-
hange mit den Propyläen nicht teilen kann. Der Tempel
ist so überaus klein, dass er im Verhältniss zur Umgebung
nur zu einer nebensächlichen Wirkung kommen kann. Er
war in der Nähe von unten überhaupt nur wenig sichtbar
und musste für diesen Standpunkt durch die hohe Balustrade
und ihre Gitter verdeckt und eingesponnen werden; für die
Ferne verschwand er durch seine Kleinheit, und je genauer
er sichtbar wurde, um so sonderbarer stand er schräg gegen
die Propyläen, an der Kante des breiteren Unterbaues und
unten abgeschnitten durch den Streif der Balustrade. Es ist
ein vergebliches Bemühen, diese Anlage aus einem ästheti-
schen Wohlbehagen erklären zu wollen. Nicht eine Ein-
schränkung des Planes der Propyläen hat stattgefunden,
sondern eine Störung. Wer, nachdem die Beobachtungen
von Julius und Bohn vorliegen, den Grundriss der ganzen
Anlage verfolgt, kann darüber nicht im Zweifel bleiben. So
konnte Mnesikles nicht bauen, wenn er nicht musste. Und
sollen wir wirklich glauben, dass der Meister, der den Plan
der Propyläen erdachte, die volle Wirkung dieses Pracht-
baues auf den Augenblick versparen wollte, in dem die Be-
sucher der Akropolis auf halber Höhe um den Pyrgos der
Nike umbiegend sich gegenüber befanden? Die grosse Frei-
treppe bis herab zum Beuleschen Thor hält seit Ivanoffs Er-
örterung niemand mehr für eine Anlage des Mnesikles. Aber

das Korn Wahrheit in der falschen alten Vorstellung ist der
natürliche Gedanke, dass einem solchen Bau ein tiefer sich
hinab erstreckender, in der Hauptaxe gerader Aufgang und
eine frühere Wirkung entsprechen müsse.

Noch eine Schwierigkeit drängt sich auf. Gewiss konnten
die Athener vielen Anlass haben, ihrer Göttin Tempel zu
errichten. Aber warum gerade an dieser Stelle und in dieser
Kleinheit den Tempel der Athena Nike ? und woher nahmen
sie die Vorstellung dieser Göttin mit dem Helm in der einen,
dem Symbol des Granatapfels in der andern Hand? Haben
denn die Athener damals das Symbol des Granatapfels etwa
neu erfunden? Ich halte Benndorfs Erklärung für irrig.
Aber sein Versuch zur Aufhellung eines schwierigen Problems
verdient keinen Spott und bezeichnet auf das deutlichste die
Frage, auf die keine Antwort gegeben ist. Die Vorstellung
der Athena Nike mit dem Granatapfel muss, wenn sie nicht
aus der Fremde kam, um so mehr, altattisch gewesen sein.
Eine Spur dieser Vorstellung kann ich in einer Vase des
Britischen Museums nachweisen, die früher, bei Maisonneuve,
Introduction Tafel 18 nur ungenau abgebildet war, und deren
genaue Kenntniss ich Benndorf selbst verdanke. Ich lasse
seine Zeichnung hiernächst, auf 2js verkleinert, folgen.

Es ist eine 0,25 hohe, unten schwarz gefirnisste Lekythos;
oben sind auf rot schwarze Palmetten aufgemalt. Das Bild
selbst ist in einer, wenigstens in solcher Grösse und für

\ü^jua#£j re/aiaig/a/E

selbständige Darstellungen, seltenen Technik mit schwarzer
Conturmalerei auf gelblichen Grund aufgetragen. Der Apfel
ist dunkelrot. Ueber und unter dem Apfel ist die Oberfläche
etwas beschädigt; aber der Apfel ist als solcher durch den
unteren Contur deutlich. Die Zeitbestimmung ist nicht genau
zu geben. Nach dem Eindruck würde man die Vase lieber
der ersten als der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts und
gewiss lieber der Zeit vor als nach dem Propyläenbau zu-
teilen. Jedesfalls wird man in der Vase ein Zeugniss für die
attische Vorstellung der Athena mit dem Granatapfel — denn
einen solchen wird man doch annehmen müssen — erkennen
dürfen, ohne dass sie geradezu eine Nachbildung des Cultbildes
im Niketempel ist.

Ist dieser Tempel die erste Stätte, welche der Cult der
attischen Athena Nike mit dem Granatapfel fand? Gegen
Benndorfs Herleitung hat Löschcke den Wahrscheinlichkeits-
grund geltend gemacht, dass Athena Nike bei der Scheidung
der Tempelgelder in die Gelder der Polias und die der andern
Götter noch nicht in Betracht komme; es scheine also, dass
bei dieser Einrichtung Athena Nike noch keinen eigenen
Tempel und keinen eigenen Schatz besessen habe. Umgekehrt.

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