Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Stuhlfauth, Georg; Vigenère, Blaise de [Übers.]; Artus, Thomas [Übers.]
Die Bildnisse D. Martin Luthers im Tode — Weimar, 1927

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.28042#0063
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
5. Zeitliche Einordnung und Zuweisung der Bilder.

45

in dieser Gegenüberstellung wird man gewahr, wie viel H gegen C voraus hat
an Stimmung und an Authentizität. Es wirkt unmittelbar überzeugend.
Jst der farbige Gesamtton bei C graublau, so derjenige bei H gedämpftes Weiß
mit zarter blaugrauer Schattierung; wirkt C dementsprechend dunkel, gewitter-
schwül, so H licht, freundlich, warm, sonnig: der Tod ist verschlungen in den Sieg.
Der tote v. Luther von H ist ein wahrhaft verklärter Toter, während der tote
v. Luther in C hart und gezwungen, ja fast brutal erscheint. Wie anziehend und
wie ergreifend zugleich wirkt der Tote von H! Die Augen, die in C förmlich
zusammengepreßt sind, sind in H nur leise geschlossen. Vor allem aber zeigt
der Mund des Charlottenburger Bildes nicht jenes verhaltene, schmerzvolle Weh,
welches dem Gesicht des Hannoverschen Luther seine Weihe und — seine Echtheit
gibt. Hier merkt man: das Sterben Luthers ist nicht ohne Kampf gewesen;
hier ist ein Zug des Leidens, der unmöglich erfunden und untergeschoben sein
kann, der das Zeugnis der Echtheit und Wahrheit in sich selber trägt. Aber findet
nicht dieser Zug seine besondere Erläuterung in unseren Sterbeberichten? Jst
er nicht der deutlichste, sichtbare Nachklang der Schmerzen, die Luther vor dem
Tode empfunden hatte und von denen außer H kein anderes der zahlreichen
Totenbildnisse künstlerisches Zeugnis gibt? Hatte nicht der Doktor immer wieder
geklagt, ihm sei sehr weh? „Ah, herre Gott, wie ist mir so wehe", hatte er ge-
seufzt, unmittelbar nachdem er um ein Uhr des nachts aufgewacht war; „es
druck ihn um die Brust sehr hart", hatte er wieder geklagt, als er in die gewärmte
Stube gegangen war und sich auf das Ruhebett gelegt hatte, welches sein Sterbe-
lager wurde; und zum drittenmal heißt es gegenüber all den Maßnahmen der
herbeigerufenen Ärzte und herbeigeeilten Freunde: „Aber in dem allen sagt
der herr doctor: ,Lieber Gott! Mir ist sehr weh und angst . . L"ch Noch mehr:
ist nicht die bemerkte Schiefstellung des Mundes in H uns von dem Apotheker
Land au ausdrücklich bezeugt injener tortura oiis, welche nach dem eingetretenen
Tode den beiden Ärzten Magister Wild und vr. Ludwig die bedeutsame Ver-
anlassung war, sich über die Frage der Todesursache auszusprechen?ch H ist
das einzige Bildnis, von welchem diese Erscheinung der tortura ori8, die im
Laufe des Tages sich zurückgebildet haben muß, festgehalten und unverkennbar
wiedergegeben ist. Dieses beides, den Zug des Leidens und die authentische
Schiefstellung des Mundes, hat schon derMaler vonC nicht mehr erfaßt, vielmehr
ins Harte und fast Brutale des Ausdrucks übertragen und umgebildet. Für H
aber ist beides, zumal das letztere, die Krönung seiner Bezeugung als des Bildes,
in welchem, wenn es nicht als solches das von dem Eislebener
Unbekannten vor dem toten Luther am Sterbemorgen entstandene
Originalgemälde sein kann, die originale Bildaufnahme dieses
Unbekannten steckt und stecken muß. Es ist gemalt von der geschickten Hand
eines Ergriffenen, der seine Aufgabe zart und fein und mit gewissenhafter Treue

i) Worte im „Abschied", Schubart a. a. O. S. 62, 37s., 63, 3f., 63, 16f.
2) Siehe oben S. 15.
 
Annotationen