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Stuhlfauth, Georg; Vigenère, Blaise de [Übers.]; Artus, Thomas [Übers.]
Die Bildnisse D. Martin Luthers im Tode — Weimar, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.28042#0069
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5. Zeitliche Einordmmg und Zuwcisung der Bilder.

51

erscheint und weniger Untersicht hat als der Kopf L II, der mehr nach hinten
zurückgesunken und mehr von unten gesehen ist; zweitens die Verschiedenheit
im Luthertypus; dem Kopf L II mit den feiften Wangen und dem hängenden
Unterkinn, dem breiien Mund, der über dem Rücken gehobenen Nase, der hohen,
fliehenden, nach oben sich stark verjüngenden Stirn und den in voller, reiner
Totenruhe geschlossenen Augen steht schroff gegenüber der gedrungene Kopf L 1
mit der niederen, gleichmäßiger breiten und steileren Stirn, der plumperen,
derberen, einen richtigen Sattel bildenden Nase, dem energischen Mnnd, dem
Gesicht voller Herbheit und Furchen, in dem die Augen, als ob er schlafe, und
fast gewaltsam geschlossen scheinen. Die beiderseits so verschiedenartig geformten
Hände stellen sich bestätigend und unterstreichend ganz ein auf diesen Gsgensatz:
hier die Hand, wie der Kopf, kurz und gedrungen, mit gleichmäßig dicken Fingern,
dort, wiederum entsprechend dem Kopf, die Hand schwammig, die Finger lang,
zierlich und spitz zulaufend?) Zu diesen entscheidenden Beobachtungen treten
andere hinzn, die mithelfen, die Kluft zwischen L I nnd L II unüberbrückbar
zu machen: hier, im größeren Bilde, alles weich und breit und flächig, dort, im
kleineren, alles mehr zeichnerisch angelegt und plastisch reich modelliert; hier
Luthers Haar grau (nach hinten dunkler, nach vorn heller), dort rostbraun
mit weißen Haaren durchsetzt, die wie wellige Blitze leuchten; die Fleischfarbe
an Gesicht und Händen im kleineren Bilde bronzeartig — leuchtend, metallisch

— frisch und lebendig, im großen Bilde ein sanftes, zartes, etwas bleiches Rosa,
wie denn die merkwürdig helle, gegenüber dem mehr ins Dunkle gehenden,
kraftvollen Gesamtton von L I zwiefach lichte Gesamttönung des großen
Bildes auch schon anderen aufgefallen ist?) Solche Differenzen^), wie sie an
den beiden Leipziger Bildern gegeben sind, erzeugt kein Kopist; sie sind Unter-
schiede nicht des Grades, sondern der Sache und des künstlerischen Tempera-
mentes und lassen sich nur erklären bei voller gegenseitiger künstlerischer Un-
abhängigkeit. Alles in allem: L I ist anderen Charakters und anderen Geistes
als L II und umgekehrt. Mit anderen Worten, hier spricht Cranach, wenn man
will: der Eislebener Unbekannte durch das Medium der Cranachwerkstatt, dort

— Furtenagel.

So rückt die ältere Tradition wieder in ihr Recht, welche den Namen Furtenagels
mit der kleineren Leipziger Tafel verbindet. Hat diese Tradition recht? Sie hat

1) Das Cranachbild L ll unterrichtet hier gewiß zutreffender, vgl. z. B. Luthers Hände in den
Federzeichnungen Johann Wilhelm Reifensteins: Luther, Mitteilungen der Luther-Gesellschaft 6,
1924, S. 6S ff. (I. Ficker).

2) Siehe den Verfasser des Artikels Furtenagel in Thieme-Becker. Der lichte Gesamtton er-
innert unwillkürlich an die verwandte Erscheinung am Bildnis des Kestner-Museums in Hannover,
fiehe oben S. 2lf. und S. 45.

3) Von untergeordneter Bedeutung ist es an dieser Stelle, daß der Kittel auf L I die Schulter-
naht aufweist und auf L ll als Kimono gearbeitet ist; denn diese Verfchiedenheit würde füglich
auch aus der Verschiedenheit der zeitlichen Entstehung erklärt werden können.
 
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